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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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hatte er, gute Freunde, und seine Familie wuchs. Er schaute rundum, zählte die Gestalten und fügte eine Schale hinzu. Eindeutig neue Gesichter in dem gemischten Haufen, einige Hina, ein paar Temueng und ein Woda-an. Er trat zurück, hob seine Weinschale. »Auf alte und neue Familienbande!« sagte er. Die Geister seufzten, schwelgten im Duft des Weins und ließen sich ein Behagen anmerken, das Aituateas Befriedigung entsprach.

 

2.Flucht aus Arth Slya
    B RANN SITZT WACH DA . Sie sickern in ihr Gedächtnis ein, die Geräusche ringsum, Wassergluckern, gedämpfte Rufe von Decks und Masten, Schiffsgeräusche, Planken und Taue raunen ins Morgengrauen, Laute des Winds, Seufzen und gedehntes Heulen. Brann sitzt an einem kleinen Tisch, das Licht der Morgenfrühe kriecht herein, scheint auf ihrer Gestalt Muster zu malen. Das Zusammenwirken von Geräuschen und Gerüchen vertieft die stille Schwermut, die sie geweckt, aus dem Bett getrieben, dazu bewogen hat, sich auf den Stuhl zu setzen, die Haare sind ihr ins Gesicht gefallen, sie hält die Das'n vuor-Kanne zwischen den Händen. Ein pechschwarzes Gefäß, die Wandung so dünn wie zartes Porzellan, und ebenso tönt es, das echte Das'n vuor aus des Tincreals Brennofen.
    Brann hauchte auf die Kanne, rieb die Oberfläche mit einem weichen Fetzen Stoff ab. Wer es auch war, der dich besessen hat, er hat gut auf dich achtgegeben. Und wieso auch nicht? Du bist ein Schatz, mein Kännchen, obwohl du sehr alt bist. Fast so alt wie ich. Hundert und mehr Jahre. Es kommt mir nicht so vor, als wäre es bereits dermaßen lange her. Die Jahre sind verflogen, o ja, wie sie dahingeschwunden sind! Sie legte das Tuch weg und hielt die Kanne schräg, um ins Schwarz des Hohlraums zu lugen, und was sie darin sah, waren Bilder, die Gesichter ihres Vaters, ihrer Brüder, Schwestern, Vettern und Basen, Onkel und Tanten, auch ihrer Mutter, wie sie die längst tote Ruan säugte; sich selbst schaute sie, ein mageres kräftiges Mädchen mit mausgrauen Zöpfen, aus denen Strähnen feinen Haars wehten. So war sie vor langem gewesen. Vor derartig langer Zeit, daß sie sich nur mit Mühe an die damalige Brann zu entsinnen vermochte. Sie fuhr mit dem Finger über den schwarzen Glanz, hinterließ einen schwachen öligen Streifen. Ob die Straße nach Arth Slya wieder offen ist? Veranstalten die Croaldhine in Grannsha ihre dreijährige Messe? Ich möchte gern wieder einmal hin. Jupelang hat einmal geäußert — jedenfalls glaube ich, er war es —, man könne nie zweimal in denselben Fluß steigen. Dennoch würde ich das Tal gern wiedersehen, ganz gleichgültig, wie nachhaltig es sich verändert hat oder wie sehr das Wiedersehen schmerzt. Dort gibt es für mich keinen Platz, aber zu gern wollte ich noch einmal am Tincreal über die Hänge schweifen und mich an jene junge Brann erinnern.
    Sie lächelte in stillem Vergnügen, als Schiffsherr Chandro, inzwischen halb wach, sich herumwälzte. Ihr kamen weitere Erinnerungen. Mein alter Freund Sammang, du hast bei mir eine Schwäche für Seeleute hinterlassen, die mich niemals reute. Chandro blinzelte, verschränkte die Finger unterm Hinterkopf, grinste Brann zu, inmitten seines zerzausten schwarzen Barts, den er anläßlich jedes Besuchs in einem Hafen zu sorgfältig gedrehten Zöpfchen flocht, der gegenwärtig allerdings zu etwas ähnlichem wie einem Dornengestrüpp verwildert war, glänzten die Zähne. Er gähnte, genoß diese letzten Augenblicke in dem warmen Bettzeug, das nach ihnen beiden roch, einen schwülen moschusartigen Duft verströmte, der zusammen mit den Erinnerungen an gemeinsame Lust die Wirkung eines starken Liebesmittels hatte. Brann schickte sich an, die Kanne abzustellen und sich zu ihm zu begeben, aber ausgerechnet da klopfte der Oberbootsmann an die Tür.
    Mit einem Auflachen schwang sich Chandro aus dem Bett, erhob und reckte sich, stöhnte vor Wohlbehagen, während er dem hochgewachsenen sehnigen Körper die Schläfrigkeit austrieb. Er schlug sich auf den Bart, musterte Brann voller verschmitzter Belustigung. »Spar deine Gelüste für später auf, mein Brombeerchen, es wird nicht weh tun, ein wenig zu schmoren.« Brann schnob, verwendete den Tuchfetzen, um die Abdrücke der Finger von der
    Kanne zu wischen. Nachdem Chandro sich angekleidet und den Bart gekämmt hatte, kam er zu ihr, betrachtete die geballte Schwärze in ihren Händen. »Das'n vuor. Tausend in Gold könnte ich dafür kriegen.« Brann schnob nochmals, und Chandro lachte.

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