Brann 01 - Seelentrinkerin
auf dem Damm vorüberzuschleichen.« Brann klemmte sich das Schwert unter die Achselhöhle und strebte zur Tür. »Du kannst mich, so du's möchtest, zum Schiff bringen. Es wird in der Morgenfrühe auslaufen.«
Der Nebel trieb zurück aufs Meer, der Wind roch weniger nach Salz und deutlicher nach Grünpflanzen, es roch nach Land, einem neuen Tag und dem Nahen eines Unwetters. Während Aituatea den Kahn auf den Weidenhain zusteuerte, sah er, wie sich hinter dem Tempeldach der Himmel leicht rötlich färbte. Offenbar braute sich mehr als eine Art von Ungewitter zusammen. Das Schlafgemach zu betreten und den Tekora in Stücken vorzufinden, die sich noch bewegen! Hei-ho, hei-ho, hoffentlich gab man der Kadda-Hexe die Schuld, denn sie ist ja fort. Mich kann niemand damit in Verbindung bringen, das ist nunmehr völlig ausgeschlossen, zumal Hotea jetzt vollends im Jenseits weilt. Er band den Nachen fest, watete durchs flache Wasser ans Ufer. Aus der Ferne hörte er Trommeln und Klapperrasseln, die Woda-an feierten das Auslaufen des Blinden Schiffs. Seelentrinkerin, du bist von keinem schlechten Schlag, trotzdem hoffe ich, daß ich dich niemals wiedersehe. Aber Tungjii segne dich. Ich hätte nie geglaubt, ich könnte Hotea einmal so vermissen. Einsamkeit plagte ihn, während er sich durchs Hängelaub der Weiden schlich, die Steigung zum aufgegebenen Lagerhaus hinaufwanderte.
Aituatea machte es sich in seiner warmen, von Wohlgerüchen erfüllten Stube bequem, setzte sich mit einer Schale Wein ans Kohlenbecken, das den einzigen Helligkeitsquell abgab, einen Steinkrug mit Wein neben den Füßen auf dem Tisch. Er hatte die bloßen schmutzigen Füße mit Absicht auf den Tisch gelegt, um Älteste Großmutter zum Schelten herauszufordern. Die Laute, die er von ihr im Schädel vernahm, waren nicht länger Worte, sondern nur ein tröstliches wohl vertrautes Babbeln. Er trank Wein, dachte an Brann, fragte sich, wer der Narr sein mochte, der sie damit beauftragt hatte, ihm das verfluchte Schwert zu verschaffen. Er dachte an Hotea. Sie hat recht, sann er, ich sollte mir eine Ehefrau nehmen. Ein Weib, das sich darin zu schicken vermochte, hier zu wohnen, und auf alle Fälle eines, das den Mund zu halten verstand. Er streckte sich im Lehnstuhl, bis er beinahe in der Waagerechten ruhte, überkreuzte die Fußknöchel und setzte die Weinschale auf dem Bauch ab. Aber erst, wenn sich die Unwetter verzogen hatten. Beide Unwetter. Er ließ einen Mundvoll Wein warm durch die Kehle rinnen, lächelte dösig den Geistern zu, die sich um ihn versammelten. Ihm war, als könne er darunter ein paar neue Gesichter erkennen, war jedoch zu faul, sich danach zu erkundigen. Es ist vorbei, überlegte er. Tatsächlich vorbei. Ich habe den Temueng-Tekora umgebracht. Ich. Jedenfalls gewissermaßen. Er schmunzelte.
»Kaum bin ich für eine Weile weg, um zu schauen, was sich zuträgt, und schon bist du betrunken. Aufs widerwärtigste betrunken.«
Aituatea schrak hoch, verschüttete Wein, stierte wild umher. »Hotea?«
Ihre kristallgleiche Geistergestalt schwebte überm Feuerbecken, dessen rötlicher Schein auf sie abfärbte. »Hast du eine zweite Schwester, von der ich nichts weiß?«
»Ich war der Meinung, du hättest deinen Frieden gefunden.«
»Darauf habe ich keine Aussicht, Bruder, solange ich dich nicht mit der richtigen Frau vermählt habe, bei der du gut aufgehoben bist.« Hotea winkte mehrere weibliche Geister herbei, die sich um ihn scharten. »Horch, ich empfehle dir Kellavoes jüngste Tochter. Man erzählt über sie, mit ihren Händen sei sie fast so geschickt wie ich, sie könnte einem schlafenden Drachen die Wimpern abschneiden. Sie wohnt, seit die Temueng ihren Vater gehängt haben, bei ihrem Ohm, und du kennst den alten Kezolavoe, er ist garstiger als ein brünstiger Eber, und doch beklagt sie sich nicht. Ein wackeres Mädchen. Der Verwandtschaft treu. Erweis dem Kind 'ne Gefälligkeit, hol's von ihm fort ...«
»Oho — oho, gemach, gemach, ich werde mir das Mädchen ansehen, aber erst nach dem Ungewitter, wenn's recht ist, Schwester!« Aituatea stand auf, machte sich daran, Weinschalen für die Geister hinzustellen. »Warum feiern wir nicht erst einmal? Schnüffel ein wenig Wein und hilf mir beim Erzählen der Geschichte unseres Eindringens in des Tekoras Palast.« Er füllte die flachen Schälchen mit Wein und fühlte, wie er sich körperlich und geistig entspannte, auf vertraute Weise gleichzeitig zufrieden und gereizt wurde. Viel Zeit
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