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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Empfindungen billigte; stäke er in solchen Umständen — wohin es mit Buatorrangs und Primalaus Gnade nie kommen würde —, verhielte er sich wahrscheinlich ähnlich. Ganz sicher war er sich in der Frage nicht, ob er sich und die Meermaid in die Umtriebe dieses Weibsbilds verwickeln sollte, aber die Sache mochte das Wagnis wert sein; wo er jetzt feststak, würde er voraussichtlich eher Schimmel ansetzen, als daß ihm ein Entweichen gelang. Gewiß verschwieg die Frau ihm alles mögliche, doch gegenwärtig war nicht der geeignete Augenblick, um nachzuhaken. »Meine größte Schwierigkeit ist«, sagte sie, »daß ich nie zuvor außerhalb Arth Slyas gewesen bin und mich deshalb in der übrigen Welt kaum auskenne.«
    »Bislang findest du dich nicht schlecht zurecht, Saör.« Sammang lächelte. »Du kennst dich gut genug aus, um nicht Grannsha aufgesucht zu haben, sondern nach Tavisteen gekommen zu sein.«
    »Unwissenheit ist nicht dasselbe wie Dummheit, Schiffsherr.«
    »Und nun möchtest du nach Utar-Selt. Durch die Hintertür. «
    »Ich muß vorsichtig sein. Auch ich kann bloß einmal getötet werden.«
    »Es ist reichlich unwahrscheinlich, daß du irgend etwas anderes als deinen Tod erreichen wirst.«
    Sie schüttelte mit trotziger Miene den Kopf. »Ich habe die Temueng gelehrt, daß sie nicht die Herren der Welt sind.«
    »Freilich. Wie schaffst du's, nicht erwischt zu werden? Es kann schwerlich zwei Frauen geben, die so wie du aussehen.«
    »Ich beherrsche ein, zwei Kunstgriffe. Wieviel wird's kosten?«
    Sammang schabte sich mit der Hand am Kinn. »Für deine und der Kinder Überfahrt fünfzig in Gold. Im voraus.«
    »Einverstanden.« Wieder verzog sie das Gesicht zu dem Grinsen einer Gassengöre; es übte auf Sammang durchaus seinen Reiz aus, wenngleich nicht so nachhaltig, daß er den Preis gesenkt hätte, obschon es ihn enttäuschte, daß sie aufs Feilschen verzichtete. »Es wird ein paar Tage dauern, soviel zu stehlen.« Sammangs Brauen rutschten aufwärts. »Aus temuengischen Schatztruhen«, fügte die Frau — unvermindert trotzig — zur Erklärung hinzu. »Sie schulden mir mehr, als sie mir jemals geben könnten, würde ich sie mein ganzes Leben lang anbetteln. Und sei unbesorgt, Schiffsherr. Weder wird man mich ergreifen, noch wirst du durch mich Scherereien mit den Temueng haben. Nun zu den Einzelheiten. Welche Genehmigungen brauchst du? Welche Unterschriften, welche Siegel müssen darauf sein, wen mußt du bestechen, wieviel Gold brauchst du dafür und wie bald?«
    Vier Tage später. In Tavisteen war es ruhiger geworden. Man fand keine Toten mehr. Keine Fahndung nach einem verwegenen Dieb wurde eingeleitet, obwohl Sammang die Ohren aufgesperrt hielt, auch seine Mannschaft dazu anhielt, sich umzuhören, wenn sie nicht damit beschäftigt war, die Meermaid zum Auslaufen vorzubereiten.
    Die Kammer unter dem Dach der Schänke. Spätnachmittägliche Helligkeit dringt ins Zimmer, durchschwebt von dichtem Staub, salziger Wind bläst schwül und böig durch die Fenster herein, bewegt die von Brann auf den Tisch geworfenen Papiere.
    »Schau sie dir an, Schiffsherr! Ich glaube, sie genügen den Anforderungen, doch du dürftest besser als ich beurteilen können, ob sie sich eignen.«
    Daß Sammang eine ganze Anzahl von Schriftzeichen zu lesen verstand, war einer der etlichen Gründe gewesen, aus denen die Kinder ihn erwählt hatten; in seinen Träumen hatten sie seinen Geist erkundet, die Sprache seiner Heimatinseln erlernt, viel von alldem in Erfahrung gebracht, was er über die Häfen wußte, die er anzulaufen pflegte, und noch mehr über sein Gemüt. Er war ein Mann mit einem klaren Begriff von Treue, er hielt seine Mannschaft beisammen, sorgte für sie, gab ihnen Geld zum Leben, obwohl seine begrenzten Mittel dadurch noch schneller dahinschwanden, ein Mann, dessen Liebe zu seinem Schiff so stark war wie Branns Liebe zu den Menschen ihres Heimatorts und zum glutherzigen Tincreal; ein Mann, der dank seiner vielfältigen Begabungen Erkenntnisse aus Wasser, Luft, Himmel und Landschaften gewinnen konnte, als wären sie in ein Buch geschriebene Worte, er war hart, wenn es sein mußte, bewahrte jedoch tief im Innern eine Sanftmut, die er nur wenige spüren ließ, ein braungebrannter stämmiger Mann mit kantigem, von ausgeprägten Gesichtszügen gekennzeichnetem Kopf. Wenn er am Fenster saß und die Sonne auf seiner feinkörnigen Haut ein Schimmern von Schweiß erzeugte, glich er einem Geschöpf aus lebendigem Stein,

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