Brann 01 - Seelentrinkerin
loszuwerden, doch sie hörten nicht auf ihre Klagen und sahen davon ab, die Person zu suchen, auf die das Entstehen der Geister zurückging (größtenteils war auch diese Haltung eine Art stillschweigender Beifälligkeit gegenüber jemandem, die sie — trotz des Ärgers, den sie verursachte — als Heldin betrachteten).
Die Temueng hatten bezüglich dieser rätselhaften Macht, die sie beschlich und tötete, eine weit weniger philosophische Einstellung. Temuengische Vollstrecker veranstalteten großangelegte Suchen, riegelten ein Stadtviertel oder einen Teil des Hafens ab, hielten in den Straßen jeden an, ließen sich die Ausweise zeigen, durchsuchten Häuser und Lager, zerschlugen Möbel und Truhen, zerrupften Packballen, rissen Wände nieder, verhinderten sogar das Auslaufen von Schiffen, prügelten Tavisteener und fremdländische Seeleute mit grimmigem Gleichmaß, schleppten diese oder jene — sowohl von den einen wie auch den anderen — zum Verhör in die Muccaits. Manchmal führten sie mehrere solche Suchen an einem Tag durch, manchmal verstrichen mehrere Tage hintereinander, ohne daß sie etwas unternahmen, bisweilen kreuzten sie mitten in der Nacht auf.
Sie entdeckten Schmuggelgut, verbotene Drogen und Waffen, geheime Schnapsbrennereien, aus einem Dutzend verschiedener Muccaits entflohene Sträflinge und andere für den Tekora interessante Dinge. Die Frau fanden sie nicht.
Schiffsherr Sammang saß gebeugt bei einem Deckelkrug wäßrigen Biers, starrte mürrisch auf die zerkerbte Tischplatte, das dunkle kantige Gesicht hatte Ähnlichkeit mit dem Angesicht des Kriegsgottes seiner Heimatinsel; selbiger Gott war von stämmiger kraftvoller Gestalt, ein aus rotbraunem Speckstein gehauenes, zu samtenem Glanz poliertes Standbild, das beim Betrachter Ehrfurcht und Schrecken hervorrufen sollte. Die restlichen Gäste der Schänke, beileibe keine Lämmerschwänze, hockten am anderen Ende der Stube und überließen ihn seinem mürrischen Grübeln. Ab und zu zupfte er an einem in die Länge gezogenen Ohrläppchen; den schweren goldenen Ohrring, der bis vor kurzem daran hing, hatte er am Morgen verkauft, um die Hafengebühr entrichten zu können; der geringe Betrag, der verblieben war, mußte ihn und seine Männer noch für ein Weilchen ernähren. Bald genug würde er aus dem Hafen auszubrechen, vorbei an den Schiffen und dem Wachturm an der engen Ausfahrt auszulaufen versuchen müssen, eine Aussicht, der er keineswegs mit Vergnügen entgegensah. Schleudern standen dort bereit, die Steine von hundert Pfund Gewicht warfen, auch Speerschleudern mit Spießen, die selbst die dicksten Schiffsplanken durchbohrten, und außerhalb des Hafens lagen Brandboote, um jedes Schiff, das den Hafenmauern entrann, zu brandschatzen, Beschreier befanden sich im Einsatz, um auch jedes Fahrzeug zu entdecken, das etwa versuchte, im Schutz von Magie zu flüchten. Die Temueng waren gründliche Leute, Buatorrang verfluche ihre gierigen Wänste! Sammang hatte eine Fracht Waren aus Arth Slya, durch einen unternehmungslustigen Tavisteener von der Grannshaer Messe unter den Nasen der Temueng, die ansonsten alles an sich rafften, dessen sie nur habhaft werden konnten, in die Hafenstadt geschmuggelt, dazu etliche Häute und Felle aus den Ebenen, ausschließlich Güter, die weder verdarben noch an Wert verloren; aber um sie zu befördern, mußte er erst einmal mit der Meermaid diesen verwünschten Hafen verlassen. Er brummte aus der Tiefe der Kehle, die breite derbe Pranke umklammerte den Krug, bis das Metall knirschte.
»Sammang Schimli? Der Schiffsherr?«
Er blickte auf, die Furchen zwischen den buschigen schwarzen Brauen vertieften sich, er zog die Mundwinkel noch tiefer hinab, verschärfte die Falten, die schräg von den geblähten Nasenflügeln hinabliefen. Langsam glitt sein Blick über das Weib, das plötzlich auf der anderen Seite des Tischs stand. »Schieb ab, Hure, ich hab kein Interesse.« Er schloß die Lider, gedachte das Weib vollständig zu mißachten.
Die Frau zog einen Stuhl unterm Tisch hervor, nahm Sammang gegenüber Platz. »Ich ebensowenig, Schiffsherr. Mein Interesse gilt allein der Überfahrt von Tavisteen nach Utar-Selt. Ich bin keine Hure.«
»Ich werde schwerlich in kürzerer Frist irgendwohin auslaufen, Weib«, antwortete Sammang, die Augen nach wie vor geschlossen, während die Daumen an den Seiten des Krugs auf- und abrieben.
»Ich weiß.« Ruckartig öffnete Sammang die Augen und schaute sie an. »Wenn du mir sagst,
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