Brann 02 - Blaue Magie
während die Karren durch den Eingangstunnel ratterten (anders konnte man die Einfahrt kaum nennen, denn die Mauer war unten mindestens zehn Meter dick), roch er so gut wie gar nichts von dem üblen Gestank aus offenen Abflüssen und in den Gossen modernden Abfalls, wie er ihn sonst kennengelernt hatte, wenn ein Freihändler Kontakt mit einer neofeudalistischen Gesellschaft aufnahm. Der Karren fuhr in eine enge, gewundene Straße, gepflastert mit Granitplatten, deren Fugen mit Pech verfüllt waren; die Straße war richtiggehend sauber, sogar der beinlose Bettler an der Ecke hatte ein sauberes Gesicht, und seine verkrümmten, knotigen Hände waren reinlich gewaschen. Die Kutscher der Karren warfen ihm jeder eine Münze in seine Schale, und er rief ihnen Segenswünsche hinterher.
Aus einem Obergeschoßfenster beugte sich eine Frau. »Welches Parika?«
Der vorderste Kutscher blickte hinauf. »Owlyner Tal«, gab er zur Antwort.
Auf den Wagen sprangen die Kinder auf, jubelten und jauchzten, schwankten gefährlich von Seite zu Seite, während die eisenbeschlagenen Räder übers Pflaster walzten, und ihre Beschützer schimpften mit ihnen, bis sie sich mäßigten und wieder hinhockten. Begleitet von Gelächter, Willkommensrufen, Viel-Glück-Geschrei und Ratschlägen, dies und das zu tun, sobald sie untergebracht seien und sich die Stadt anschauen dürften, zog die Kolonne dahin, vorbei an hohen, schmalen Häusern, durch immer dichter bevölkerte Straßen, vorüber an Springbrunnen, die auf Plätzen zwischen den Häuserreihen plätscherten, bewegte sich allmählich aufwärts, gelangte in ein Viertel, in dem größere Häuser standen, geschmückt mit Dutzenden von Blumenkästen voller bunter Blumen, wo man da und dort kleine Gärten und Grünflächen sah, die Springbrunnen größer waren und kunstvoller beschaffen. Vor ihnen, zwei Anhöhen weiter, glitzerte ein weißes, mit Minaretten hen weiter, glitzerte ein weißes, mit Minaretten gekröntes Bauwerk im Sonnenschein wie Salz.
Kori lehnte sich zu Daniel Akamarino hinüber. »Auf der langen Steigung dort vorn werden wir langsamer fahren«, murmelte sie, »dann kannst du abspringen. Wenn du auf 'nem Schiff anheuern willst oder Arbeit suchst oder so was, geh in die Südstadt, dort liegen der Markt und der Hafen.«
»In Ordnung. Viel Glück beim Losen, Kori.«
Sie lächelte ihm nervös zu. »Ahm ...« Sie klammerte die Hand um Daniels Handgelenk, ihre Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch; ihre Stimme flüsterte kaum vernehmlich leise. »Tre sagt, wir sehen uns wieder.« Sie biß sich auf die Lippen, schüttelte den Kopf, als Daniel etwas entgegnen wollte. »Sag nichts. Es ist wichtig. Ich werd's erklären, wenn's soweit ist.«
»Ich brenne geradezu darauf.« Daniel grinste sie an; sie kniff ihn ins Handgelenk, saß anschließend stumm da, bis sie die lange, steile Zufahrt zum Yron hinauffuhren.
Daniel erhob sich, hüpfte über die Seite des Wagens, sprang weit genug, um über das große Rad hinwegzusetzen. Nach einem zusätzlichen Luftsprung, einem Jodler und einer schwungvollen Verbeugung — damit brachte er die Kinder erneut zum Lachen, während ihre Begleitung ihm zum Abschied zuwinkte —, entfernte er sich rasch in eine Nebengasse, deren Ecke die Fahrzeugkolonne, kaum daß er ein paar Schritte gegangen war, seinem Blickfeld entzog.
Obwohl es schon mitten am Nachmittag war, herrschte auf dem Marktplatz lautstarker Betrieb, Fleisch und Gemüse waren zwar ausverkauft, doch bot man nun dauerhaftere Waren an. Daniel Akamarino spazierte umher, bis er den am stärksten frequentierten Durchgang zwischen Marktständen ermittelt hatte; er kauerte sich zu dem Bettler, der dort an einer Ecke saß. »Gute Stelle hier, was?«
Der Bettler blinzelte ihn mit seinem einzigen entzündeten Auge an. »Ooch jaaa.«
»Hast du was dagegen, wenn ich hier 'n bißchen Flöte spiele? Dein Platz, dein Geld.«
»Kannste wat?«
»Wenn's dir nicht gefällt, sag's nur, dann hör' ich auf.«
»Dat werd' ich, glaub mir, dat werd' ich.«
Daniel zückte den Recorder, ließ sich im Schneidersitz auf dem Pflaster nieder, überlegte einen Moment lang, blies probehalber ein paar Töne auf der Flöte und begann dann eine der Melodien zu improvisieren, die er von den Kindern gelernt hatte. Mehrere Matysser blieben stehen, um zuzuhören, und als er fertig war, schnippten sie zum Zeichen des Beifalls mit den Fingern und warfen dem Bettler Münzen in den Topf.
Daniel schaltete den Recorder ab,
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