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Brann 02 - Blaue Magie

Brann 02 - Blaue Magie

Titel: Brann 02 - Blaue Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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geprägt, auf der Rückseite war ein Geschnörkel, das irgendeine Schrift sein mochte. Er betrachtete sie eine ganze Weile, ehe er sie beiseitelegte; er konnte sich nicht darauf besinnen, woher er sie hatte, und das beunruhigte ihn. Als zweites hatte er einen schweren
    Silberring mit einem Sternstein, er hatte ihn am Daumen getragen, während er auf Abalone lebte, wo Daumenringe zur Mode gehörten; aber weil er eigentlich lieber nichts an den Händen trug, hatte er ihn an dem Tag ausgezogen, als er jene Welt verließ, ihn in einer Tasche verstaut und danach vergessen. Er packte alles wieder ein, außer den Fusseln, die er unter der Weide, zwischen den Wurzeln, im Erdreich vergrub; dann lehnte er sich an den Baumstamm und schaute den Kindern zu, wie sie umherrannten und schrien, sich an mit etlichen Knoten versehenen Seilen, die an Gestellen hingen, hin- und herschwangen, auf einem Gerüst schräger Pfosten mit Querbalken und Netzen kletterten und turnten, Spiele im Kreis, mit Tauen und Bällen spielten, eben auf die Art und Weise spielten, die anscheinend universal verbreitet war. Daniel hatte ähnliches bereits bei diversen Spezies (der unterschiedlichen Zahl und Form der jeweiligen Extremitäten angepaßt) und verschiedenerlei Kulturen (in etlichen Variationen bezüglich der Abstufung von Konkurrenz und Kooperation) gesehen, die zehntausend Lichtjahre voneinander trennten. Er lächelte, dachte daran, ihnen ein bißchen Musik vorzuspielen, entschied sich jedoch dagegen, denn er fühlte sich im Moment zu behaglich für irgendwelche Aktivitäten. Der Tag war warm, die Leute aus dem Owlyner Tal hatten ihm am Mittag reichlich zu essen gegeben, so daß er noch keinen Hunger spürte, er hatte ein paar Kupfermünzen in der Tasche und die Aussicht auf mehr Geld, folglich war ihm nach Abspannen zumute. Er konnte mit bestem Gewissen einfach nur dasitzen und die Zeit verstreichen lassen, ohne auf die Uhr zu gucken.
    Als die Sonne so tief gesunken war, daß sie genau über der Stadtmauer stand, und die Kinder nach und nach heimgingen — zum Abendessen und ins Bett —, stand Daniel Akamarino auf, reckte und streckte sich, um wieder wach zu werden, und spazierte zurück zu Kuronees Leihhaus. Dort feilschte er eine halbe Stunde lang um einen annehmbaren Betrag für die Medaille und den Ring und hatte daran soviel Vergnügen wie die Alte; als sie sich endlich einig geworden waren, grinste er sie breit an, während sich in ihren Augen, die abgestandenen Spiegeleiern ähnelten, die Andeutung eines fröhlichen Gefunkels erahnen ließ. Sie nannte ihm ein Gasthaus, dessen Wirt die Reputation hatte, Dieben auf den Schädel zu hauen und sich wenig darum zu sorgen, ob er ihnen bei der Gelegenheit das Hirn eindrosch. Daniel mietete ein winziges Zimmerchen mit einem Schloß an der Tür und einem schon stark abgenutzten Bett. Besonders sauber war es nicht, insgesamt aber besser, als er es für den Preis erwartet hatte. Er aß eine Fischsuppe und einen Kanten Brot mit harter Kruste und trank dazu ein dunkles Starkbier. Nach dem Essen ging er zum Hafen, um zu sehen, wie sich Dunkelheit übers Meer senkte.
    Der Abend war lau, die Luft still und voller kräftiger, zudringlicher Gerüche; wieder endete ein Tag einer milden, leicht durch Überreife gekennzeichneten Jahreszeit. In Daniels Heimat hieß diese Phase letzter Wärme vor dem Winter Maras Dowry: Zeit der goldenen Melancholie. Ich wüßte gerne, wie man sie hier nennt und warum sie so heißt, dachte er. Er setzte sich auf einen hölzernen Poller und beobachtete, wie die Flut kam; seine wohlige Tristesse-Stimmung gab einen kultivierten letzten Gang zu dem schlichten, aber guten Essen ab, das ihm den Bauch wärmte. Ein Dreiviertelmond stieg auf, im oberen rechten Viertel fehlte ein großes Stück. Der Wunde Mond, so ist sein Name. Er sah ihn durch Zirruswolken schweben, fragte sich, welche Geschichten ihn umranken mochten. Wer hatte auf den Mond geschossen, und warum? Wer war so hungrig gewesen, daß er einen so großen Bissen schluckte?
    Draußen im dunklen Wasser, hinter den Schiffen, glitzerte etwas. Sprangen dort Delphine? War es ein Schwarm Fliegender Fische? Nein. Fliegende Fische waren es nicht.
    Langsam stand er auf und spähte aufs Meer. Dort schwamm eine Frau. Eine dreißig Meter lange Frau mit weißlichen, glasartig durchscheinenden Fingern und einem Fischschwanz. Sie schimmerte, als wäre sie durchsichtig, in unheimlicher Schönheit, und erregte den Eindruck enormer

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