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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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hätten wir das alles nicht erlebt. Denk doch, wir haben Länder gesehen, die nur unsere entferntesten Vorfahren, diejenigen, die noch vor Kalan lebten, jemals zu Gesicht bekommen haben.«
    Bran ließ seine Hand auf Hagdars Schulter sinken. Die Muskeln führten wie dicke Seile vom Nacken in den Arm. Doch die Wunde, die er gerade ausgewaschen hatte und die noch unverbunden vor ihm lag, nässte gelb.
    »Erinnerst du dich an…« Hagdar zuckte zusammen, als Bran die Wunde berührte, lächelte aber weiter. »An damals, als wir in Krett waren? Im Wirtshaus? Der Stallbursche sagte damals, aus mir würde niemals ein guter Krieger werden, weil ich so groß sei, dass immer alle Bogenschützen zuerst auf mich zielen würden. Ich hasse es, klein beizugeben, insbesondere weil das ein Kretter war, aber ich glaube, er hatte Recht.«
    Bran lachte mit ihm. Dann schlief Hagdar wieder ein, und seither war er nicht mehr aufgewacht. Das war drei Tage her.
     
    Bran beugte sich über Hagdar und schlang die Decke um ihn. Der Wind zerrte an den Ecken, doch Bran stopfte sie unter Hagdars Rücken und Schultern. Dann setzte er sich wieder zurück an die Reling.
    Er schob sich weiter zum Bug vor, denn sein Rücken war die Speere leid, die hinter den Bronzeschilden festgebunden waren. Von hier aus hatte er einen guten Überblick über das Schiff. Die meisten Männer saßen oder lagen an Deck, denn der Wind straffte die Segel und erließ ihnen das Rudern. Sie hatten ihre Umhänge und Hemden abgelegt. Es war einer dieser Tage, an denen die Herbstsonne an den Sommer erinnerte und sich der Wind entschlossen hatte, eine letzte warme Brise über das Meer zu schicken. Keer und Tarba würfelten. Die Stofflappen an Keers Oberarm waren noch blutig, doch er zeigte keine Anzeichen, dass ihn die Pfeilwunde störte. Er schüttelte die Würfel in seinen zusammengelegten Handflächen und ließ sie auf das Deck fallen. Dann beugte er sich vor und begutachtete sie lange. Danach nahm Tarba sie, spuckte sich in die Handflächen und würfelte. Keer ballte vor Anspannung die Fäuste.
    Bran schloss die Augen und ließ die Erinnerungen kommen, denn es war ein guter Moment dafür. Er wusste noch, wann er Keer zuletzt so aufgedreht gesehen hatte. Der Krieger hatte ihn mit seinem durchbohrten Arm zu sich gewunken. Bran folgte ihm über das Schlachtfeld, vorbei an den Stangen, auf denen die abgehackten Köpfe blind in den Himmel starrten, vorbei an den reglosen Leibern und zerbrochenen Speeren, bis ganz vor zu dem brennenden Saal. Und dort, inmitten eines Berges blutiger Aardmänner, lag der Sänger. Sein Körper war zerfetzt von Pfeilen und tiefen Schwerthieben, doch sein Gesicht zeigte keine Spur von Schmerz, keine Furcht. Seine geschlossenen Augenlider strahlten Frieden aus, als wäre er ein alter Mann, gestorben nach einem erfüllten Leben in einem Land voller Wild.
    Die Tirganer bauten Bahren für die Toten und trugen sie zum Strand, wie Nangor und Bran Hagdar getragen hatten. Dort hoben sie tiefe Gruben aus, in denen sie die gefallenen Krieger mit ihren Waffen und Schilden zur letzten Ruhe betteten. Tarba opferte dem Sänger einen Schluck von seinem Wein, bevor Bran Sand über ihn warf. Das gehörte zu den Pflichten eines Tileders.
    Als sie vom Strand ablegten, stand er am Steuer. Er blickte sich oft um und sah nach dem Schiff, das auf Visikals Befehl hin zurückblieb. Die vier mal zehn Männer sollten ein Fort über den verbrannten Resten des Saales errichten und Späher in den Wald aussenden. Sie sollten mit den Frauen Frieden schließen und sich auch gegenüber allen, die vor den Tirganern in den Wald geflohen waren, friedlich verhalten. Und mit der Zeit, meinte Visikal, würden sie auch ein Volk von Ar werden.
     
    Die Reling bebte, und ein Tau landete unmittelbar vor seinen Füßen auf dem Deck. Er stand auf und holte es ein. Vamans Langschiff kam längsseits. Das Deck war überfüllt mit Verwundeten, denn Vaman hatte bereits an fast allen Schiffen festgemacht. Auch die Sklavinnen hatten dort einen Platz gefunden.
    Der kräftige Tileder kratzte sich an seinem dünnen Bart, schob die Hände unter den Gürtel und schrie der Mannschaft seine Befehle zu. »Zieht euch heran! Ganz heran!« Und dann, als die Relings gegeneinander knirschten: »Macht fest! Zwei halbe Steks!«
    Bran legte das Tau um einen Eisenbügel hinter der Reling, so dass es die Tirganer an Bord des anderen Schiffes festzurren konnten. Die Schiffe knarrten aneinander wie zwei Wale im Kampf oder bei

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