Brans Reise
der Brunft.
»Wie viele sind es bei euch?« Vaman trat zur Reling vor und rief Visikal zu, der sich über die Luke beugte.
»Zwei!« Visikal ergriff zwei Stangen, die aus der Luke heraufragten. »Kanga und der Jäger von dem fremden Volk.«
Der Skerg zog die Trage hoch. Ein Mann war auf ihr festgebunden, und Bran erkannte ihn wieder. Das war der Krieger, der zwischen den Verwundeten gelegen hatte, der Mann, der seine Hand verloren hatte. Die Lappen um seinen Armstumpf waren nass und rot, und er hing wie ein Toter in den Tauen, mit denen er an der Trage festgebunden war. Viele Tage war Bran bei Kangas Gesang eingeschlafen, und Tarba hatte ihm zugeflüstert, dass der Verwundete damit Cernunnos bat, ihn zu sich zu nehmen. Doch jetzt war Kanga stumm.
Visikal und Nosnavar trugen die Trage zur Mitte der Reling. Dort hatten die Männer die Bronzeschilde abgenommen, und Visikal und Nosnavar schoben Kanga zu Vamans Männern hinüber, die ihn entgegennahmen und auf das Deck legten.
»Und jetzt den anderen!« Vaman winkte Bran zu. »Wir haben keine Zeit, darauf zu warten, dass er wieder gesund wird und aus eigener Kraft herüberkommt!«
Tarba und Virga kamen über das Deck angerannt und ergriffen das Fußende der Trage. Bran packte hinter Hagdars Schultern zu, und so trugen sie ihn zu Vaman hinüber. Die zwei Männer schoben ihr Ende der Trage über die Reling. Da ging ein Zucken durch Hagdar, er drehte den Kopf zur Seite, blinzelte mit den Augen und sah auf.
»Bran…« Er kämpfte damit, seinen Arm zu heben, doch Bran ergriff ihn. Hagdars schwere Faust legte sich um die seine.
»Sie werden dich nach Tirga zurückbringen.« Bran strich ihm das Haar aus der verschwitzten Stirn. »Du bist morgen bei Linvi.«
Hagdars Augen lächelten. Seine Faust wurde schwach und schwer, und Bran legte sie wieder zurück unter die Decke.
»Morgen… das ist so fern.« Hagdar atmete aus. Der Schweiß formte sich an seinem Hals zu Perlen. »Sag Linvi«, hauchte er, »sag Linvi…, dass ich es für unser Volk getan habe. Sag ihr…«
Vamans Männer zogen die Trage zu sich herüber. Sie hoben sie zwischen sich an und trugen sie an Deck. Dort legten sie sie zwischen ein paar Tonnen ab. Dann schrie Vaman seiner Mannschaft erneut Befehle zu. Sie lösten die Seile. Die Ruder schoben sich aus dem Rumpf und stießen die zwei Langschiffe voneinander ab.
Noch lange stand Bran da und sah Vamans Schiff nach. Sie hatten die Ruder ausgefahren, und als der Rest der Flotte die Backbordschot anzog und nach Westen abdrehte, sah er nur noch einen weißen Flügel im Dunst vor seinen Augen.
Kengber stand in dieser Nacht am Steuer. Als der Abend kam, stand er alleine an Deck und schlug den Umhang eng um sich, denn seit die Flotte von Aard losgesegelt war, waren die Nächte immer kälter geworden. Der rothaarige Tirganer schaute zum Himmel auf, während seine neun Finger das Steuerruder hielten. Er war glücklich, wenn er draußen auf dem Meer war. Es stimmte ganz einfach nicht, was er seiner Frau zu sagen pflegte, ehe er in den Krieg zog. Denn hier draußen vermisste er niemanden. Nicht einmal seinen neugeborenen Sohn. Hier draußen war er frei, und es machte ihm nichts aus, eine ganze Nacht am Ruder zu stehen. Er konnte mit den Sternen sprechen und Lieder für das Meer singen.
»Hört!«, sagte Nangor.
Bran und seine Männer saßen unter Deck um die Feuerstelle herum, von wo aus sie den Gesang des Tileders gut hörten.
»Er singt vom Meer.« Der Seeräuber legte seine Hand über die Augen und bewegte sich im Takt zur Musik. »Das Lied habe ich schon einmal gehört.« Er summte mit. »Was liegt dort, wo die Sonne versinkt? Wer kann in solche Fernen segeln, solche Fernen…«
Bran wendete sein Stück Fleisch. Es lag auf einem Rost über der Glut, die tief im Sand eingegraben war. Nur dieses Feuer konnten sie an Bord des Schiffes entzünden. Der Sand hinderte die Glut daran, Löcher in den Rumpf zu brennen, und der Rauch konnte durch die Luke direkt über ihnen abziehen. Nur jeden vierten Tag konnten Bran und seine Männer ihr Essen über dem Feuer wärmen, denn die Feuerstelle war so klein, dass nicht mehr als zehn Mann daran Platz fanden. Die Männer waren zufrieden und schoben sich gegrillte Fischstücke und Trockenfleisch, das sie in Salzwasser aufgeweicht hatten, in den Mund. Doch Bran hatte noch nicht mit ihnen gesprochen. Seine Gedanken lasteten schwer auf ihm, er dachte an Linvi. Er hatte ihr versprochen, auf Hagdar aufzupassen. Wer war er
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