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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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geschrieben, und deshalb glaubten unsere Ahnen, die Riesen hätten gewusst, dass wir kommen würden. Wir waren ein Volk ohne Gott, voller Furcht vor Geistern und anderen Dämonen im Wind der Ebene, über die wir seit so vielen Generationen gewandelt waren. Doch als unsere Vorväter das Bild sahen, das die Riesen an die Wand hinter den Ölfeuern gemalt hatten, knieten sie, sich an ihre Speere klammernd, nieder und sangen seinen Namen.«
    Bran saß jetzt nicht mehr im Schatten. Wie die anderen Männer starrte er Tarba an. Als dieser das bemerkte, richtete er seine alten Augen auf ihn.
    »Das ist ein mächtiger Anblick. Und ich habe noch keinen Fremden getroffen, der nicht gläubig geworden wäre, nachdem er das Bild des Riesen gesehen hatte. Seid gewiss, Männer, niemand hat das Recht, Cernunnos’ Gesicht zu malen oder aus dem Stein zu hauen. Nur in Arbog dürfen wir es sehen.«
    Keer kaute den letzten Bissen Fleisch. »Es ist so lange her, dass ich dort war«, schmatzte er. »Ich habe fast vergessen, wie er unter dem Geweih aussieht!« Er grinste, sah zu den Katzenbrüdern hinüber und schmatzte weiter, während diese sich die Hände vor den Mund hielten und kicherten.
    »Ich werde es nie vergessen.« Tarba blinzelte zur Luke empor. »Es ist ein schönes Gesicht. Und es ist grausam.« Er ließ den Blick über die Männer gleiten, heftete dann seine Augen erneut auf Bran und schloss die Lider. Bran sank wieder zurück in den Schatten. Tarba kratzte sich an seinem kahlen Schädel und fuhr fort. »Dann, nach vielen Wintern im sicheren Schutz hinter den Mauern der Riesen, fiel der alte Baum, der dort vor dem Tempel gestanden hatte. Die knorrige Eiche brach bei einem Sturm einfach ab, und da entdeckten unsere Vorväter den Nagel, der sich im Inneren des Baumes verborgen hatte. Er war so groß, dass nur ein Riese ihn in den Baum getrieben haben konnte. Wir zählten die Jahrringe, die seit dem Kopf des Nagels hinzugekommen waren. Und wir verstanden, dass dieser Nagel ein Zeichen war, eine Erinnerung, welche die Riesen zurückgelassen hatten, um von ihrer Zeit zu erzählen.«
    Er rechnete etwas mit den Fingern nach und runzelte die Stirn. »Zweimal hundert Jahre, sechsmal zehn und dann noch mal eines. So lange ist es her, dass die Riesen die Burg verlassen haben.«
    Ein Raunen war zu hören. Bran verstand nicht, wie jemand so viele Zahlen im Kopf behalten konnte. Einmal hatte Turvi auf die Schafe am Talboden gedeutet und gesagt, es seien »hundert«. Denn »hundert« sei die Zahl für all das, was das Auge nicht zählen konnte. Doch Bran brauchte so ein Wissen nicht. Der Einbeinige hatte ihm bereits beigebracht, bis zehn zu zählen, und die Zeit maß er in Wintern und Generationen.
    »Durch Träume haben wir von Cernunnos gelernt«, sagte Tarba. »Einige unserer Frauen haben den, der das Geweih trägt, im Traum gesehen. Sie haben die Riesen in mächtige Kämpfe gegen Götter, deren Namen wir nicht kennen, verwickelt gesehen. Cernunnos war der größte Krieger von allen. Er wanderte in Länder auf der anderen Seite des Meeres, bevor er schließlich nach Hause zurückkam und an der entscheidenden Schlacht der Riesen teilnahm. Viele von ihnen starben in diesem Kampf, und schließlich, als nur noch wenige Riesen, von Wunden gezeichnet, lebten, erhielt er einen tödlichen Schlag und schleppte seinen Körper auf die Ebenen hinaus. Ihm folgten die Überlebenden, und sie verschwanden für immer.«
    »Die Frauen, die diese Träume hatten, waren die ersten Galuenen.« Keer sah Virga an, als er sprach. »Aber das ist lange her. Die heutigen Galuenen haben keine Träume mehr. Jedenfalls keine, über die sie sprechen.«
    Tarba erwiderte nichts darauf. Die Männer blieben sitzen und kauten auf ihren Fischstücken herum. Sie hatten sie bis zum Schluss liegen lassen, denn das Fleisch schien ihnen die bessere Nahrung zu sein. Bran grübelte lange über das nach, was er gehört hatte. Er erkannte die Worte wieder, die Tarba gesagt hatte. Tir hatte ihm davon in der Nacht erzählt, in der sie vor der Tür des Turmes gestanden hatten. Aber sie hatte noch mehr gesagt – etwas davon, dass Cernunnos wiedergeboren werden würde. Wussten die Tirganer das nicht?
    »Bald werden wir die Männer von Old-Myre treffen«, murmelte Zwei Messer. Er hob seinen Krug und nahm einen tiefen Schluck.
    »Old-Myre, ja.« Tarba hatte einen guten Platz am Feuer; er fuhr sich über sein dreckiges Hemd und biss sich auf die Unterlippe, während er nach den richtigen

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