Brans Reise
genug über die Reling lehnte, meinte er, ihr Haar zwischen seinen Fingern spüren zu können. Er sah über die Reihe der Langschiffe hinweg. Jetzt sahen sie wirklich wie Drachen aus, ein jedes mit einem weißen Flügel über dem Rücken.
Schon seit Aard waren sie so gesegelt, und immer wieder hatte sich Bran gewundert, dass so schöne Geschöpfe derartiges Leid bringen konnten. Denn Leiden war es, was die Tirganer dem Inselvolk beschert hatten. Er dachte an den Abend nach dem Kampf, als sie im Wald ihr Lager aufgeschlagen hatten. Die Lagerfeuer hatten wie Glühwürmchen zwischen den Stämmen geglüht, denn der Brauch verlangte es, dass jeder Tileder die Überlebenden seiner Gruppe um sich herum versammelte, so dass die Männer miteinander sprechen konnten. Tarba sammelte ein paar trockene Zweige, und als der alte Mann den Flintstein gegen sein Messer schlug, setzten sich die Männer um Bran herum, die meisten mit dem Schädel eines Aardmanns am Gürtel. Sie saßen dicht um das Feuer herum, und Bran knotete die letzten Verschnürungen um Hagdars Trage. Die Männer sagten nichts, ehe Keer zurückkam, denn der war an den anderen Lagerfeuern gewesen, um die neuesten Gerüchte zu hören. Er wusste zu berichten, dass einige der Tileder gerade von einer Erkundungstour in den Norden der Insel zurückgekehrt waren, wo sie einige Aardmänner beim Versuch zu fliehen getötet hatten. Es habe auch Spuren von anderen gegeben, doch dabei habe es sich vorwiegend um Frauen und Kinder gehandelt, die in den Wald geflohen seien und keine Gefahr darstellten.
Frauen und Kinder, dachte Bran. Sie hatten ihm doch niemals etwas zu Leide getan. Es waren die Männer von Aard, die sich die Sklavinnen hielten, sie waren es, gegen die er gekämpft hatte. Er hatte niemals daran gedacht, Frauen Schmerzen zuzufügen. Aber dennoch waren sie es, die jetzt unter dem Verlust der geliebten Männer zu leiden hatten.
Später am Abend zog er den Pfeil aus der Hand von einem der Katzenbrüder. Tarba meinte, das könne warten, denn so, wie der Pfeil das Schild an den Arm nagelte, bestand sicher keine Gefahr, es zu verlieren. Und das, meinte der Alte, sei sicher ein Vorteil in den noch ausstehenden Kämpfen. Doch Bran brach den Pfeil oberhalb des Schildes ab und legte den Katzenmann in das Licht des Feuers. Seine zwei Brüder standen um ihn herum und sahen mit runden, verwunderten Augen zu. Als Bran den Pfeilschaft herauszog, hoben sie den Verwundeten an und bürsteten das Laub von ihm, als sei ihr einziger Gedanke, ihn rein zu halten. Und später in dieser Nacht, als Tarba seinen Weinschlauch um das Feuer kreisen ließ, zog Keer den Pfeil aus seinem eigenen Arm. Er spuckte in die Wunde wie ein Schmied, der ein Schwert schleift, und band einen Streifen seines Umhangs darum.
Bran lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. Er hatte Hagdar jetzt hier vorne hingelegt, denn es war bald an der Zeit, ihn auf Vamans Schiff zu bringen. Der große Mann schlief dennoch fest, und der Wind spielte mit seinen widerspenstigen Haaren. Jeden Abend hatte Bran die Verbandsstoffe ausgespült und die Wunden trocknen lassen, ehe er die Decke wieder um ihn geschlagen hatte. So, wusste er, hatte Dielan es gemacht, als er selbst auf dem gleichen Weg nach Tirga unter dem Wundfieber gelitten hatte. Nach der ersten Nacht auf See war Hagdar wieder aufgewacht. Da hatte er frisch gewirkt, und Bran hatte über Vares Worte gelacht. Doch nach drei Tagen verschlechterte sich Hagdars Zustand wieder. An diesem Abend hatten sie miteinander gesprochen:
»Ich muss die ganze Zeit nachdenken«, sagte Hagdar. »Ich denke an Dinge, die wir gemeinsam unternommen haben, Jagdtouren und Reisen.«
»Das waren gute Tage«, antwortete Bran. »Und jetzt…« Er schloss die Augen und erinnerte sich an den Traum, der so oft zu ihm gekommen war, ehe er in diesen Krieg gezogen war. »Wenn wir in das Tal hinter den Bergen kommen, werden wir wieder jagen.«
»Hinter den Bergen…« Hagdar hustete. Es hätte auch ein Lachen sein können, aber Bran war sich nicht sicher. »So, da liegt es also, das Land, in dem Kragg auf uns wartet. Merkwürdig… Ich habe einen anderen Kurs geträumt… Ich verstehe nicht, warum…«
»Turvi sagt, dass wir nicht immer alles verstehen.« Bran legte seine Hand auf Hagdars Stirn und schob die Locke weg, die sich immer wieder an dessen Augenwinkel heftete. »Aber oft denke ich, dass du ein besserer Häuptling gewesen wärst.«
»Nein, nein!« Hagdar lachte und hustete. »Dann
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