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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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vielleicht Dinge, für die ein Mann kämpfen musste. Wie die Hirschböcke im Frühling. Er hatte gesehen, wie sie mit ihren Geweihen aufeinander losgingen und sich tagelang jagten, bis der Verlierer aufgab und sich erschöpft auf die Suche nach anderen Weiden machte. Manchmal war der Kampf so hart, dass einer starb. So war das Leben. Und er selbst, was unterschied ihn von einem Hirschbock im Kampf? Er war getrieben von Visikals Forderung und seiner eigenen Sehnsucht nach einer Frau. Der Krieg, das Töten und der Schmerz, das gehörte einfach dazu. Ein Krieg, dachte er, ist ein Sturm in der Seele der Männer. Er würde ihn spüren, wenn die Langschiffe Oart erreichten, wie er ihn während der Seeschlacht gespürt hatte. Er würde ihn mit sich reißen, und er würde kein Krieger mehr sein, sondern der Krieg selbst.
     
    Mit dem Schlaf kamen die Träume, doch dieses Mal war es anders. Er sah sich selbst unter den Decken dieses Langschiffes. Der bärtige Mann richtete sich auf, kratzte sich im Nacken und ging gebeugt über den Sand. Die Ruder waren eingezogen worden, doch das Schiff hob und senkte sich und zitterte so, als wären sie auf voller Fahrt.
    Der Mann kletterte die Leiter empor. Er war allein an Bord des Schiffes. Wie ein geübter Seemann warf er einen raschen Blick auf das Segel, bevor er sich ans Steuer stellte. Der Wind hob die Haare in seinem Nacken an und entblößte sein halbes Ohr. Seine Fäuste lagen ruhig auf dem Steuerruder, und sein Blick war auf die Wellen vor dem Bug gerichtet. Bran glitt näher zu diesem Gesicht, diesen Augen, die sich so fest auf das Meer geheftet hatten. Der Wind ließ sie feucht werden. Das Blau in seinen Augen spiegelte die unruhigen Wellen. Und dann zogen sich die Augenfalten zusammen, und aus dem Blau wurde Rot. Bran glitt von ihm weg. Er starrte in das Unwetter vor dem Bug. Es peitschte das Meer auf und schleuderte die Gischt durch die Luft. Das Meer stöhnte, als ob etwas tief dort unten im Sterben läge. Und dann, als das Schiff in den Sturm hineinsegelte, stieg das Blut an die Oberfläche.
     
    Viele Tage segelten die Langschiffe nach Westen. Bran verbrachte seine Wachen am Steuer. Oft hielt er nach den anderen Langschiffen Ausschau, doch nur selten konnte er ein Segel oder eine flackernde Fackel erkennen. Die Steuermänner überwachten gegenseitig ihren Kurs, indem sie die Namen der Kapitäne der Langschiffe riefen. Er beantwortete das Rufen, doch Visikals Name schien jedes Mal im Wind zu ertrinken.
    Die restliche Zeit verbrachte er unter Deck. Er dachte viel nach, sinnierte über diesen Krieg, der ihm eher wie eine lange Seereise vorkam, und über die Träume, die er gehabt hatte. Er musste an Tir und all die anderen denken, die in Tirga warteten. Es war lange her, dass er den Kurs nach Westen geträumt hatte. Dieser Körper, diese Frau in den Wellen, er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie Tirga verlassen hatten. Doch er hatte sich selbst gesehen, ganz allein auf dem Langschiff. Das war alles, und er verstand es nicht. Die Götter sprachen durch die Träume zu den Menschen. Welcher Gott aber gab ihm dann diesen merkwürdigen Traum, in dem das Meer blutete? Er hatte immer zu hören bekommen, dass Kragg der Gott des Felsenvolkes war. Doch Bran hatte ihn selbst über den Himmel davonfliegen sehen. Kragg hatte mit seinen Flügeln die Sonne verdeckt und war dann aufs Meer hinausgeflogen und hatte sein Volk verlassen. Erst nach diesen Geschehnissen waren die Träume gekommen. Was also, wenn es ein anderer Gott war, der durch diese Träume sprach? Bran sah noch immer diesen steinernen Riesen vor sich. Cernunnos, der, der das Geweih trägt, hatte durch ihn gesprochen. Bald… Wiedergeboren…
    Bran hatte von Visikal einen Wetzstein bekommen, und oft saß er mit seinen Waffen im Schoß da, spuckte aus und rieb den Stein über die blau schimmernden Klingen. Die unablässigen Kreise mit dem Schleifstein ritzten die Gedanken in seinen Kopf, wogende, unstete Gedanken, die kaum festzuhalten waren. Eines Abends, als er so dasaß, ließ sich Nangor neben ihm zu Boden fallen.
    »Hier sitzt du also und starrst vor dich hin!« Der Seeräuber gähnte und kratzte sich am Scheitel zwischen seinen Bartzöpfen.
    »Es ist eine lange Reise.« Bran strich mit den Fingern über den Wolfskopf am Knauf des Schwertes. »Da hat man viel Zeit zum Nachdenken.«
    »Erzähl.« Nangor lehnte sich gegen einen Pfosten und verschränkte die Arme.
    Bran hatte mit dem Seeräuber nie über so etwas

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