Brans Reise
gesprochen. »Die Träume eines Häuptlings sind der Besitz seines Volkes«, sagte Turvi immer. Es wäre nicht richtig, sie anderen Völkern mitzuteilen.
Doch Bran erkannte, dass Nangor ein guter Gedankenleser war.
»Du denkst an das Felsenvolk.« Der Seeräuber zwinkerte ihm zu. »An deinen Bruder, den einbeinigen Alten und an Hagdar. Und da du immer wieder die gleiche Seite deiner Schwertklinge schleifst, glaube ich, dass es der Liebeskummer ist, der dich so abwesend erscheinen lässt.«
Bran sah auf sein Schwert hinab. Der Seeräuber hatte Recht. Bran spuckte auf die Klinge und begann die andere Seite zu schleifen.
»Ich denke an Tir«, sagte er. »Das braucht kein Geheimnis zu sein.«
»Das ist es auch nicht«, erwiderte Nangor und lachte. »Aber sag mal, willst du nicht lieber mit in die Wärme kommen? Tarba hat uns gebeten, seinen letzten Weinschlauch zu leeren.«
»Warum will er ihn austrinken?« Bran nahm eine Decke mit und folgte Nangor.
»Er meint, es sei der letzte Abend vor Oart. Da wäre es Unsinn, das Gebräu aufzuheben.«
Bran duckte sich und ging unter einem Schild hindurch, das von einem Balken herabhing. Dann trat er in den Sand und grüßte die Männer, die um das Feuer herumsaßen. Tarba kippte zur Seite, als er zu winken versuchte, doch Keer schob ihn wieder hoch. Die Katzenbrüder rückten zusammen und machten Bran zwischen sich und Zwei Messer Platz. Bran legte seine Decke auf den Sand und setzte sich. Wie alle anderen verschränkte er seine Beine. Zwei Messer klopfte ihm auf die Schulter und murmelte so etwas wie »getreue Waffenbrüder« und »mickrige Vandarer«. Dann wurde der Weinschlauch herumgereicht, und Bran bemerkte, dass Tarba den größten bis zuletzt aufbewahrt hatte. Der Wein schwappte in dem Schweinsleder herum.
»Trink auf uns’ Glück, Tileder. Morgen… Vandarer… Wir müss’n…« Zwei Messer kam mit seiner Ansprache nicht weiter und legte den Weinschlauch stattdessen in Brans Schoß.
»Auf unser Kriegsglück!« Tarba wedelte mit den Armen über dem Kopf. »Auf dass wir uns alle morgen Abend zusammenfinden, um auf den Sieg zu trinken. Und dass die Vandarer irgendein Gebräu haben, das wir nehmen können, denn das hier ist mein letzter Schlauch. Auf dass es uns Kraft gibt und wir morgen viele Köpfe nehmen können, und… und all das andere!«
Bran nahm die Holztülle in den Mund und legte den Kopf in den Nacken. Die Männer jubelten, während er das starke Getränk in sich hineinlaufen ließ, doch er wollte jetzt nicht viel trinken. Er richtete sich auf und reichte den Schlauch an die Katzenbrüder weiter.
»Lasst uns ein wenig aufheben.« Er blinzelte durch die Luke nach oben. Schnee hing über die Öffnung hinunter, und sogar ganz unten war die Leiter vereist.
»Es hat aufgehört zu schneien.« Nangor stand auf, kletterte die Sprossen hinauf und steckte den Kopf durch die Lukenöffnung. »Ich glaube, wir werden bald Land sehen.«
Nangor hatte so viel Zeit auf See verbracht, dass er den Himmel und die Wolken nicht mehr brauchte, um Strömungen, Wind und Wetter vorherzusagen. Er konnte die Morgenbrise fühlen und spürte an den Wellen, wenn sich das Land näherte. Bereits in der ersten Dämmerung segelten die tirganischen Langschiffe in den Nebelgürtel herein, der verriet, dass die Küste bald erreicht sein würde. Die Männer zählten ihre Pfeile, zogen die Panzerwesten an und warteten.
Sie sahen die Burg, als die Schiffe mit schlaffen Segeln endlich das Ende des Nebelgürtels erreichten. Das Land lag mit schneebedeckten Hügeln vor ihnen. Oarts Mauern erhoben sich auf einem Höhenzug ein paar Pfeilschüsse vom Strand entfernt. Sie waren aus Balken und Bruchsteinen errichtet, und die moosbewachsenen Türme ließen erkennen, dass die Festung viele Kämpfe überstanden und viele Generationen gesehen hatte. Die Mauern umringten die Anhöhe in einem weiten Kreis. Die Burg war so breit, dass man die Erhebung in ihrer Mitte, auf der Steinhütten und Langhäuser standen, ohne weiteres über der Brustwehr erkennen konnte. Dort oben standen die Krieger. Sie trugen Kettenhemden, Schilde und Kurzschwerter und die gleichen runden Helme über ihren schwarzen Bärten. Kein Laut war zu hören. Sie erwarteten die Langschiffe seit vielen Tagen.
Die Mannschaft rollte die Segel ein und schob die Ruder aus. Visikal, Vare und Ylmer standen am Bug ihrer Schiffe und kletterten als Erste über die Reling an Land, als sich die Kiele in den Sand des Strands
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