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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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und die Schiffe im Hafen. Es roch nach Blumen und nasser Erde. Es war Frühling.
     
    Es schneite, als er aufwachte. Keer stocherte mit einem halb verbrannten Ast in der Glut herum. Er hatte seine verletzte Hand zwischen die Knöpfe seiner Schafslederjacke geschoben und wartete so, bis Bran sich die Augen rieb und aufstand.
    Sie gingen weiter. Schnee fiel über die weißen Bäume und hüllte die ganze Welt in Stille. Nur die Vögel unterbrachen den Rhythmus der Schritte der beiden Männer. Sie flogen mit unstillbarem Hunger auf Fichtensamen und Insektenlarven von Ast zu Ast.
    Bran und Keer sahen oft zu ihnen auf. Zwei Abende waren sie eingeschlafen, ohne etwas zu essen. Zwei Abende, doch schon nagte der Hunger. Bran bemerkte, dass er wieder wie ein Jäger zu gehen begann. Er beugte seinen Rücken schwach nach vorne, machte lange Schritte und spähte zwischen den Zweigen hindurch. Jedes Mal, wenn er auf einen Hügel kam, reckte er den Hals und ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. Er wusste, dass die Hirsche den tiefen Schnee in den Senken meiden würden, doch nichts deutete darauf hin, dass es in diesem Land Wild gab. Nur immer wieder Hügel mit schneebedeckten Fichten, die wie weiße Türme emporragten, und Täler mit schwarz gefleckten Birkenstämmen und Büschen.
    Gegen Mittag wandten sie sich nach Osten. Sie fanden einen Talzug und folgten ihm zwischen den Hügeln hindurch. Als die Senke kein Ende zu nehmen schien, erkannte Bran, dass sie in ein Moor gekommen waren. Auf jeder Seite des Tales fielen die bewaldeten Hänge sanft ab, einzig unterbrochen von Bäumen und kleinen Hügeln, wo sich der Schnee über Moospolster und Steine gelegt hatte.
    Unter einem flachen, aus dem Hang herausragenden Stein schlugen sie ihr Lager auf. Keer lieh sich die Axt und schlug auf eine trockene Birke ein; dann sagte er, er müsse es noch üben, die linke Hand zu benutzen. Bran ließ ihm Zeit. Er suchte einen Platz in der Nähe, wo sich die Bäume nach Süden öffneten, und begann, den Schnee fortzuschieben. Wenn es so wie in seiner Erinnerung war, musste er hier die Stiele von Farnkräutern finden. Sie wuchsen auf den sonnenbeschienenen Plätzen im Moor, und ihre Wurzeln waren süß. Er hatte einmal ein Lamm mit Farnwurzeln gefüttert. Es hatte sich im Nebel verlaufen, folgte ihm aber bereitwillig, als es ein paar Hände voll von diesen süßen Wurzeln bekommen hatte.
    Dicht an den Baumstämmen fand er, wonach er gesucht hatte. Die schwarzen Stiele waren nicht einmal dazu gekommen, ihre Blätter abzuwerfen, ehe der Schnee kam. Mit seinem Schwert grub er sie aus dem gefrorenen Moos aus, bevor er die Erde abkratzte und sie mit zum Lager nahm.
     
    Keer und Bran nagten bis tief in der Nacht an den Wurzeln herum. Süßwurzeln ist ein unpassender Name, dachte Bran. Denn die Wurzeln waren alles andere als süß und verlangten heftiges Kauen. Aber sie betäubten den Hunger.
    Sie sprachen an diesem Abend wenig miteinander. Sie waren still, wie erschöpfte Männer es zu sein pflegen, wenn sie viele Tage miteinander gewandert sind und wissen, dass ihnen noch eine lange Reise bevorsteht.
     
    Der folgende Tag war wie die vorangegangenen. Sie stapften durch den Schnee, bückten sich unter den Zweigen und bahnten sich ihren Weg zwischen den Büschen und Bäumen hindurch, die im Moor wuchsen. Bran schätzte, dass sie an der Burg der Vandarer vorbei waren, und glaubte, sich bald nach Norden wenden zu können. Keer zufolge wäre es leichter, an der Küste entlangzugehen. Er meinte, die ganze Küste Vandars sei ein einziger Strand, der sich wie ein Gürtel von Ars Grenze bis zum westlichen Ende der bekannten Welt erstreckte. Von dort schauten die großen Menschen Mansars in die weiten Stürme des Westermeeres.
    Keiner von ihnen wusste sich zu erinnern, wie lange die Langschiffe vom Winterlager bis Oart gebraucht hatten, nur dass es mehrere Tage waren. »Ein Tag auf See entspricht zehn Tagen über Land«, sagte Keer und hielt seine acht Finger hoch. »Es wird ein weiter Weg, bis wir in Sicherheit sind.«
     
    Am Ende des Moores lagerten sie. Wieder grub Bran Wurzeln aus, während Keer Holz hackte. Das Schneegestöber hatte sich gelegt, doch jetzt bescherte ihnen der Winter eisige Kälte. Sie teilten sich den Pelzumhang und zitterten nebeneinander. Keer sprach von Fleisch und Wein. Er sprach von Frauen, und dieses Mal waren sie keine Unglücksboten, sondern warme Geschöpfe.
    »Ich verspreche dir«, sagte er zitternd, »sollte ich nach

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