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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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strecken. Bran wusste, dass sie für diese Nacht gerettet waren. Er hatte genug Holz bis zum Morgen, die Kleider trockneten, und auch vor dem Wind waren sie geschützt.
     
    Mitten in der Nacht nahmen Bran und Keer ihre Kleider von den Zweigen. Bran zog die Lederhose an, schlüpfte in die Stiefel und zwängte sich in das enge Hemd, das er an Bord des Langschiffes gefunden hatte.
    »Nur gut, dass ich meine Winterjacke unter dem Panzerhemd hatte«, sagte Keer mit einem Husten und knöpfte die Schafsfelljacke zu. »Es ist kalt hier.« Er wickelte sich den Schal um die Pfeilwunden in seiner Schwerthand.
    Bran zog den Pelzumhang aus dem Schnee und lehnte ihn gegen die Zweige am Feuer. Er war schwer und steif gefroren wie eine Eisscholle. »Wir können hier nicht bleiben, wenn es hell wird.« Bran bürstete den Schnee vom Pelz. »Wir sind zu nahe an Oart.«
    Keer spuckte in die Flammen. Er ist wieder gesund, dachte Bran. Ein Mann, der seine schlechten Gewohnheiten wiedergefunden hat, denkt sicher nicht daran, so bald zu sterben.
    Der Tirganer hockte sich hin und starrte in die Glut. Seine dichten Augenbrauen lagen schwer über seinen Augen. Das Feuer war zum Boden heruntergebrannt. »Ich hätte wissen sollen, dass so etwas geschehen würde.« Er kratzte sich an seinem kurzen Bart. »Es bringt Unglück, wenn sich ein Tileder verliebt und Handelsmann werden will.«
    »Dann hattet ihr vorher einen anderen Tileder…?« Bran dachte über diese Selbstverständlichkeit noch einen Moment nach.
    »Vor mir?«
    »Einen dicken Mann, der seine Nase gerne ins Weinfass steckte«, sagte Keer und lächelte. »Doch dann entschloss er sich, den Rest seines Lebens den zwei Dingen zu widmen, die er wirklich liebte: seiner Frau und seinen Weinen. Und wir, seine alten Krieger, mussten eine Ewigkeit warten, bis die Skerge einen neuen Tileder für uns ernannten.« Er sah zu Bran auf.
    »Ich tue das für Tir.« Bran hängte den Umhang wieder über die Zweige, die sich unter dem Gewicht herabbeugten.
    »Da siehst du es.« Keer lachte. »Schon wieder eine Frau. Und sieh doch, was für ein Unglück über uns gekommen ist. Jetzt sitzen wir hier, ohne einen einzigen Happen Fleisch, alleine und nur einen Pfeilschuss von einer Burg der Vandarer entfernt. Die Langschiffe sind sicher längst davongesegelt, wenn sie nicht alle dem Feind zum Opfer gefallen sind. Ein Unglück! Ein einziges Unglück!«
    Bran schnaubte. Wie konnte sich Keer so sicher sein, dass es so war? Noch vor wenigen Augenblicken hatte der Tirganer nackt, von Krämpfen geschüttelt und mit erfrorenen Fingerspitzen im Schnee gelegen. Er selbst, Bran, hatte ihn gerettet, doch Keer dankte ihm das bloß mit höhnischen Worten.
    »Ich habe dich mit einer Frau gesehen.« Bran erinnerte sich an das Fest in Arborg und an die langen Haare, durch die Keers Finger gestreichelt hatten. »Ehe wir von der Burg aufbrachen. Du hattest eine Frau.«
    Keer riss die Augen auf. Dann zwinkerte er und kratzte sich mit seiner gesunden Hand im Nacken, als hätte ihn Bran an etwas erinnert, an das er sich nicht erinnern wollte.
    Die zwei Männer schwiegen eine ganze Weile. Beide saßen in der Hocke am Feuer, wärmten sich die Hände und waren mit sich selbst beschäftigt.
    »Es ist wahr, ich hatte eine Frau«, sagte Keer schließlich. »Sie war die meine, für eine Nacht. Für mich war das immer am besten so. Keine Sehnsucht, wenn ich aufbrechen muss, keine Trauer, wenn ich im Kampf falle.« Er stand auf und drehte dem Feuer den Rücken zu.
    Bran dachte lange über diese Worte nach. Keer war ein Krieger, der schon viel mitgemacht hatte. Er musste unzählige Frauen kennen, die zu Witwen geworden waren. Und auch Bran wusste jetzt so viel mehr darüber, was Krieg bedeutete; er hatte den Schmerz kennen gelernt und die blanke Wut. Es war kein Kampf gegen Männer und Feinde, es war ein Kampf, um zu überleben. Er blinzelte in das Dunkel zwischen den Bäumen. Morgen würde er weiterkämpfen müssen. Gegen den Schnee, die Kälte und dieses fremde Land.
     
    Im Morgengrauen kletterten die zwei Männer auf den nächsten Hügel und ließen ihre Blicke über das Meer schweifen. Keer hatte Fichtenzweige und einen glühenden Zweig mit hinaufgenommen, aber rasch erkannte er, dass es sinnlos war, Rauchzeichen zu geben. Die Schlacht war vorüber, und die Schiffe waren mit dem Raunebel verschwunden. Nichts deutete mehr auf den Kampf hin, der hier gewütet hatte, abgesehen von der Tonne und einem gebrochenen Ruder, die an den Strand

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