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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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aus meinem Gürtel. Ich will nicht, dass du mit deiner Axt daneben haust.«
    Bran zog das Schwert aus der Scheide, kniete nieder und legte es auf Keers Zeigefinger. Es machte keinen Sinn, es ihm in die Haut zu stoßen, denn auch wenn er das noch spüren sollte, die Finger mussten so oder so ab. Es war wie Fäulnis, all das Tote musste weg, damit es nicht das gesunde Gewebe ansteckte.
    »Ganz hinten an den Knöcheln.« Keer sah weg. »Stell dein Knie auf meine Hand, damit ich sie nicht wegziehen kann.«
    Bran kniete sich auf die Pfeilwunden in Keers Handrücken. Dann drückte er die Schwertklinge auf dem blassen Rand der gesunden Haut auf den Finger. Er legte seinen Pelzumhang doppelt unter seine Handfläche und presste die Klinge mit einem Ruck nach unten. Knochen knackten, und Keer heulte auf. Bran schob die Klinge über den Mittelfinger, richtete die Schneide auf den Übergang von kranker zu gesunder Haut und drückte erneut zu. Keer brüllte und trampelte, und als Bran aufstand, krabbelte er weg, während das Blut aus den roten Stümpfen sickerte, die einmal seine Finger gewesen waren. Er krümmte sich am Feuer zusammen und fauchte. Speichel rann ihm über die Lippen. Bran hob den Schal aus dem Schnee auf. Er wickelte ihn hart um Keers Hand und ließ den Tirganer liegen.
    Keer bewegte den Oberkörper im Liegen vor und zurück. Er drückte sich die Hand gegen die Brust und atmete tief und langsam. Er blickte nicht einmal auf, als Bran die blauen Finger zwischen die Bäume warf.
    »Das müssen die Pfeile gewesen sein«, flüsterte Keer nach einer Weile. »Ich hab das gespürt, als ich getroffen wurde. Die haben die beiden Finger getötet. Die Wärme wollte einfach nicht in sie zurückkehren.« Mit einer tiefen Falte auf der Stirn blickte er auf seine Hand hinab. »Damit kann ich jetzt wohl kaum noch ein Schwert halten.«
    »Besser, als die ganze Hand zu verlieren. Das hätte sich ausgebreitet.« Bran schob den blutigen Holzklotz ins Feuer. »Gut, dass du es gesagt hast.«
    »Gut war das nicht.« Keer stützte sich auf seine Ellbogen, richtete sich auf und legte sich auf das Lager aus Fichtenzweigen. »Richtig vielleicht, aber nicht gut.«
    Bran streckte die Hand aus und legte sie Keer auf die Schulter. Er wusste nicht, warum er das tat, denn so etwas war ihm immer schwer gefallen. Aber jetzt erschien es ihm richtig. Seine Hand auf Keers Schulter zu legen, half beiden so viel mehr als Worte. Es gab jetzt nur noch sie zwei. Zwei Krieger im Land der Feinde.
    Sie legten sich auf die Fichtenzweige, schoben sich so nah wie nur möglich ans Feuer und schliefen ein.
     
    Bran war ein Träumer. Er wusste das, seit er den Kurs nach Süden geträumt hatte. Die Götter sponnen ihre Fäden und woben sie für ihn zusammen; sie zeigten ihm Bilder aus der Vergangenheit und aus Zeiten, die noch kommen sollten, ein Mahlstrom aus Landschaft, Menschen, Tieren und Lauten. Solche Bilder huschten durch Brans Geist, und er schob sie wie ein Sandkorn unter den Augenlidern weg. Er war ein Jäger, ein Seemann, ein Krieger, und nur, was er fühlen und verstehen konnte, heftete sich in seinem wachen Geist fest.
    Als es dämmerte, sah er es. Zweimal war er aufgewacht, doch beim ersten Mal hatte die Nacht noch dunkel über der Glut gelegen. Beim zweiten Mal war das Dunkel leichter geworden, und jetzt, da das Morgenlicht in den Augen brannte, schob er den Kopf wieder unter den Pelz und tauchte noch einmal in den Schlaf ab. Er war nicht wach. Er hatte nur aus dem Schlaf aufgeschaut, und jetzt war er wieder an dem Ort, an dem er so oft gesessen hatte: am Feuer in Dielans Hütte, am Ufer des Meeres hinter der Ebene. Er hörte, wie die Männer auf die noch unfertigen Bootsrümpfe einhämmerten.
    Er rührte in einem Topf, der über dem Feuer hing. Es verwunderte ihn, denn das war doch die Arbeit für eine Frau. Er sah die Hand, die den Holzlöffel hielt. Es war eine schöne, schmale Hand, die Hand einer Frau. Dann betastete er seine Schultern, sie waren schmal und weich. Er führte seine Hand über den Frauenkörper nach unten. Der Bauch war so merkwürdig rund, und während seine Hand dort ruhte, quoll das Unwohlsein hinter seiner Brust empor. Es war ein milder Schmerz, so seltsam übel und doch so richtig.
    Dann krabbelte er über den Boden. Der Körper war schwach, und der Rücken schmerzte über dem schweren Bauch. Eine Decke hing vor der Türöffnung. Er schlug sie zur Seite. Von dort aus konnte er ganz Tirga überblicken, die Türme, die Häuser

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