Brans Reise
ziehen.
Er hackte einen schweren Fichtenzweig ab und zog ihn über ihre Spuren. Das tat er in der ganzen Senke bis zum Kamm der nächsten Anhöhe. Da hörte er die Vandarer auf dem ersten Höhenzug. Die Reiter hatten die Stelle entdeckt, an der ihre Spuren vom Weg abzweigten. Sie würden wahrscheinlich zur Burg zurückreiten und einen Trupp Jäger aussenden. Jetzt begann es, zwischen den Schneeflocken dunkel zu werden. Die Nacht ist eine schlechte Zeit für Jäger, doch eine gute Zeit für all jene, die flüchten wollen. In dieser Nacht mussten sie laufen. Sie mussten ihren eigenen Spuren folgen, bis sie zuschneiten. Sie mussten durchhalten.
Sie liefen noch immer, als der Morgen anbrach. Während der ganzen Nacht waren die Schneeflocken auf ihren Gesichtern geschmolzen, doch jetzt klarte sich das Wetter auf. Die Sonne brach durch die Wolkendecke, und Bäume, Hügel und Täler leuchteten weiß. Bran war den Spuren nach dem Höhenzug lange gefolgt, doch mitten in der Nacht waren die schwarzen Fußstapfen zugeschneit gewesen. Ab da waren sie blind geflohen und hatten den leichtesten Weg über die Hügel und durch den Tiefschnee in den Senken gesucht.
Keer sank am Fuß einer Steinmauer zusammen. Das Blut war in seinem Bart gefroren. Bran kniete neben ihm nieder. Es gurgelte in der Brust des Tirganers, als atmete er Wasser. Der Pfeil steckte mindestens eine Handbreit in seinem Rücken. Bran schob seine Hand unter den Kragen von Keers Lederjacke und befühlte die Haut, die den Pfeilschaft umgab. Sie war aufgedunsen und eingerissen, denn der Pfeil versperrte dem Blut den Weg. Nicht ein Tropfen rann über seine Haut.
»Der sitzt gut, nicht wahr?« Keer spuckte rot in den Schnee. »Es sieht so aus, als hätten die Vandarer mich jetzt gekriegt.«
»Ich kann versuchen…« Bran legte die Hand um den Pfeilschaft, doch Keer packte seinen Arm.
»Den herauszuziehen?« Er kroch weg und richtete sich auf. »Der steckt tief in meiner Herzwurzel!« Er nahm eine Hand voll Schnee und rieb sich den Mund ab. Dann schüttelte er den Kopf und trabte weiter.
Bran holte den Tirganer schnell wieder ein, denn oft taumelte er und erbrach Blut und Schleim. Er würde sterben, und sie beide wussten das.
Als die Sonne im Süden hoch über die Hügel geklettert war, stiegen sie auf eine Anhöhe und spähten in ihren Spuren zurück. Bran verfluchte die Winde, die die Schneewolken weggeschoben hatten. Ihre Spuren waren im Weiß der Abhänge leicht zu erkennen. Nur ihre alten Spuren hatte der Schnee verwischt. Er sah zum Himmel empor. Er konnte den kalten, meeresblauen Himmel jetzt nicht gebrauchen. Was er brauchte, waren Schnee und Unwetter. Kragg hätte Wolken in seinen Schnabel nehmen und sie zu ihm und Keer hinüberschieben können, doch der Himmelsvogel war nirgends zu sehen. Er war ein Traum, dachte Bran. Ein Traum aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben.
Unter einem Steinblock fanden sie Schutz. Bran schob den Schnee vom Boden weg und fällte eine trockene Birke, die ganz in der Nähe stand. Er half Keer auf das trockene Laub unter dem Fels. Der Tirganer legte sich auf die Seite und zitterte, doch nicht vor Kälte, sondern vor Fieber und Furcht. Er war still und reagierte nicht auf das, was Bran sagte. Erst als die Flammen aufloderten, kratzte er sich das trockene Blut von den Mundwinkeln.
»Es ist schon merkwürdig«, hauchte er. »Ich dachte immer, der Tod würde mich plötzlich ereilen, schließlich bin ich ein Krieger. Aber es geschieht langsam, und ich habe Zeit, nachzudenken und mich zu erinnern.«
Bran würgte das quälende Gefühl in seinem Hals hinunter. Er wälzte einen Birkenklotz in die Flammen und türmte die Glut daneben mit seinem Bogen auf. Diese Worte hatten kommen müssen. Sie waren ebenso unausweichlich wie die Verfolger.
»Ich erinnere mich an den großen Mann, der dich nach Aard begleitet hat. Auch er wurde von einem Pfeil gefällt.« Keer lachte. »Klebt das Unglück an dir, Tileder?«
Keer wartete nicht auf die Antwort, sondern zog einen Holzscheit zu sich heran und legte ihn wie ein Kopfkissen unter seinen Kopf. Bran sah dem Rauch nach, der zu den Sternen emporstieg. Die Vandarer konnten diesen Rauch auch während der Nacht erkennen. Er steckte den vandarschen Bogen neben sich in den Schnee. Seinen selbst geschnitzten Bogen brauchte er jetzt nicht mehr, doch er trug ihn noch immer mit sich. »Ein gutes Bogenholz darfst du nie wegwerfen. Du weißt nicht, wie der Bogen ist, ehe du ihn gespannt
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