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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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läuft nicht weg, denn ich passe auf sie auf, damit sie es gut hat hier. Nicht wahr, mein Mädchen?«
    Inien nickte und biss in ein Stück Fett.
    Bran kratzte mit seinem Nagel über die Furchen im Tisch. Die Tischplatte war von den vielen Jahren des Gebrauchs gezeichnet.
    »Ich komme von Blutskalle«, sagte er schließlich. Er wartete auf ein Luftanhalten oder Worte der Sehnsucht, doch Tigam schmatzte unbekümmert weiter.
    »Blutskalle?« Sie schob die leere Schale in die Tischmitte. »Ich kenne niemanden, der so heißt. Ich hatte einmal einen Mann, aber der hieß Iarr. Er ist bestimmt schon tot, denn er war ein wilder Krieger, und Menschen wie er überstehen nicht viele Schlachten.«
    Bran legte seine Hand auf die ihre. Er erinnerte sich an Blutskalles Geschichte. »Iarr ist tot. Er ist an dem Tag gestorben, an dem du geraubt wurdest. Blutskalle ist jetzt sein Name. Und er hat mich gebeten, wie er alle Arer gebeten hat, Tigam zurück nach Arborg zu bringen.«
    Die alte Frau stand auf und sammelte die Schalen ein. Sie hob den Kessel vom Boden auf und ging gebeugt zum Kamin hinüber. Die Vandarfrauen begannen wieder zu schwatzen.
    »Wir können dich hier nicht verstecken.« Tigam goss Wasser über die Schalen und begann sie mit einem Lappen auszuwischen. »Wer weiß, wann die Männer zurückkommen? Dieser Krieg kann jederzeit zu Ende gehen. Die Arer schlagen sich nicht so gut, das lassen uns jedenfalls die Tauben wissen. Ich werde ein wenig Essen für dich zusammenpacken. Heute Nacht kannst du noch hier bleiben…«
    Bran schlug seine Axt in den Tisch. Die schwatzenden Frauen verstummten schlagartig. Inien sprang von ihrem Stuhl auf und rannte zu Tigam hinüber.
    »Ich werde heute Nacht hier sein«, sagte er. »Und du sollst Essen zusammenpacken. Aber du musst mit mir gehen.« Er deutete auf das Mädchen. »Und sie nehmen wir auch mit.«
    Keine der Frauen sagte an diesem Abend noch etwas. Bran lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, denn er wollte nicht von heimkehrenden Vandarern überrascht werden. Er versuchte, mit Tigam zu reden, doch die Art, wie sie ihren Rücken krümmte und im Raum herumirrte, erzählte mehr als Worte. Sie war alt und hatte wohl längst die Hoffnung aufgegeben, nach Hause zu kommen. Und was wusste er darüber, wie sie sie für ihre Fluchtversuche bestraft hatten? Sie hatte Angst. Vor dem weiten Weg durch den Winter und vor Blutskalle, dem Mann, der einmal der ihre gewesen war. Nur Inien schaute ab und zu zu ihm auf. Sie saß mit der Taube in den Händen da. Sie strich sich mit dem Vogel über die Wange und über die Narbe, die sie zeichnete.
     
    Bran träumte in dieser Nacht von seinem Bruder. Dielan stand am Kai in Tirga und bürstete den Schnee von den Booten des Felsenvolkes. Die Bootsrümpfe lagen kieloben auf dem Kai und schützten so die darunter liegenden Ruder, Masten und Segelbäume. Dielan kratzte in den Spalten zwischen den Planken, um zu überprüfen, ob das Harz noch hielt. Dann drehte er sich zum Meer um und hielt sich die Hand über die Augen. Die Sonne hing weiß am Himmel. Das Meer war zugefroren. Das Eis reichte einen guten Speerwurf bis vor die Mole, und an seinem Rand schlugen die Wellen über die Eisschollen, doch Dielan hielt vergeblich nach den Langschiffen Ausschau.
    »Wach auf!« Die Stimme flüsterte ihm ins Ohr. Jemand zerrte an seinem Ärmel. Er spürte die Bretter der Tür in seinem Rücken und begriff mit einem Mal, dass er geschlafen hatte.
    »Leise…«
    Er schlug die Augen auf. Das Mädchen saß neben ihm in der Hocke. Sie hielt sich den Zeigefinger vor den Mund.
    »Sag nichts«, flüsterte sie. »Zaya und die anderen schlafen.«
    Jetzt bemerkte Bran, dass sie ihre Winterkleider und den Pelzumhang anhatte. Sie zog sich eine Mütze über den Kopf und ging zur Feuerstelle hinüber. Tigam stapelte Holzscheite in einen Sack, und Inien hängte sich Wasserschläuche und Segeltuchsäcke über die Schulter. Immer wieder blickte sie in die Ecke, in der die Vandarfrauen schnarchten.
    Bran rappelte sich auf und streckte seinen schmerzenden Nacken. Dann befestigte er die Axt an seinem Gürtel. Inien kam zurück, die Arme voller Decken, Hirschkeulen und Kleider, und legte alles vor seine Füße.
    »Wir haben Decken und Essen zusammengepackt.« Sie winkte der Alten zu, die den Holzsack zuknotete und einen dicken Lodenumhang anzog. »Wir müssen jetzt aufbrechen, ehe sie etwas bemerken!«
    Tigam krümmte ihren Rücken unter dem Holzsack und ging langsam über den Boden.

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