Brans Reise
das Volk, das sie versklavt hatte. Sie lächelte erneut, und die grünen Augen wurden unter den schweren Augenlidern ganz schmal.
»Bleib noch ein bisschen bei uns. Die Hausherren kommen frühestens in ein paar Tagen zurück. Im Westen ist Krieg, aber das weißt du ja vielleicht?«
Bran spähte zu den dunklen Frauen am Tisch hinüber. Sie kamen ihm mit ihren Goldringen, die sie quer durch ihre Ohren gestochen hatten, sehr hässlich vor, und er erinnerte sich daran, was Tarba gesagt hatte. Die Vandarer mochten es, ihre Körper zu schmücken.
»Was ist mit denen?« Er zeigte mit seiner Axt auf die Frauen. »Die sind Vandarer.«
»Sie sind Menschen, wie du und ich. Beurteile sie nicht nach dem Volk, dem sie angehören. Sie werden dir niemals etwas Böses tun.«
»Ich muss weiter.« Er setzte sich wieder ans Feuer. Die Vandarfrauen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. »Das ist Feindesland. Ich muss zurück nach Ar. Ins Winterlager oder nach Arborg.«
Die Sklavin, die im Begriff war, Wasser in den Kessel zu schütten, ließ die Kelle fallen. »Arborg!« Sie hob sie wieder auf und sah ihn von der Seite an. »Es ist lange her, dass ich jemanden dieses Wort habe sprechen hören. Wenn ich noch jünger wäre, wie Inien hier…« Sie tätschelte die Hand des Mädchens. »Doch sie stammt aus Kels, und von dort trennt uns ein ganzes Meer.«
Mit einem Mal kam es ihm so vor, als habe er sie schon einmal gesehen. Doch sie sah nicht aus wie eine der Frauen des Felsenvolkes. Erinnerte sie ihn an Viani? Nojs Frau, die zurückgeblieben war, als er mit den anderen aufs Meer hinausgesegelt war? Er neigte den Kopf zur Seite. Sie war es nicht. Die Sklavin verkörperte ein Bild, das er in seinen Gedanken gehabt hatte. Aber er konnte sich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang er an sie gedacht hatte.
Bran zog den Umhang aus und legte die Axt in seinen Schoß. »Wo bin ich?«
Die Sklavin hustete dem Mädchen ein paar unverständliche Worte zu. Sie kicherte. Er mochte das nicht. Glaubten sie, er sei so lange gewandert, damit sie etwas zum Lachen hatten?
»Wir sind am Ostende des Reiches.« Die Sklavin hängte den Kessel an den Haken über dem Feuer und begann zu rühren.
»Ist es weit bis zur Küste?«
»An der ganzen Küste herrscht Krieg.« Sie dämpfte die Stimme. »Da darfst du nicht hin. Und es ist viel zu weit. Jetzt, da das Wild nach Westen gezogen ist, würdest du verhungern, noch ehe du die Hügel erreichst.«
»Nach Westen…« Bran begann zu verstehen, warum das Land so verlassen gewirkt hatte.
»Vor ein paar Tagen haben wir eine Taube geschickt bekommen und von den Kämpfen an der Küste erfahren.« Die Sklavin deutete in das Halbdunkel unter dem Dach. Dort hing ein Käfig, und der Balken darunter war weiß von Vogelmist.
»Damit beschäftigen wir uns hier draußen.« Die Sklavin erhielt eine Hand voll getrocknetes Fleisch von dem Mädchen und warf es in den Kessel. »Wir füttern die Tauben, die von der Küste kommen, und schicken sie weiter in die Städte im Westen. Manchmal kommen auch Tauben aus Mansar. Die schicken wir nach Norden.«
Bran verstand das nicht. Wie konnten Tauben so etwas erzählen? Waren diese Frauen wie Karain in der Felsenburg, der mit den Vögeln sprechen konnte?
Die Sklavin zwinkerte dem Mädchen zu, das den Käfig mit einem Stab herunternahm. Sie stellte ihn neben ihren Füßen auf den hölzernen Boden. Die Taube saß am Boden des Käfigs. Sie gurrte und pickte in einer Schale mit Körnern. Das Mädchen öffnete eine Tür und nahm den Vogel in ihre Hände. Dann hielt sie die Taube zu Bran hinüber.
»Streichle sie.« Sie sagte das so leise, dass er sie kaum hören konnte.
»Inien möchte, dass du den Vogel streichelst«, sagte die Sklavin lächelnd. »Tu, was sie sagt. Es ist ihre Lieblingstaube. Inien, erklär ihm, wie du die Rindenstreifen befestigst!«
Bran strich mit seinen Fingern vorsichtig über den Rücken des aschgrauen Vogels.
»Wir rollen die Rindenstreifchen um ihre Füße.« Das Mädchen sprach mit den scharfen Lauten, die so typisch für die Menschen in Kels waren. »Hier herum.« Sie zog die Krallen der Taube lang. »Ich gebe ihnen zu essen.«
Bran tat es weh, sie anzusehen. Er hätte gerne versucht, sie zu trösten, doch er wusste, dass sie Angst vor ihm hatte. Und er konnte ihr dafür keine Schuld geben. Die Frauen in Kels waren stolz, das hatte er immer gehört. Selbst ein junges Mädchen wie sie musste gelitten haben, um derart gebrochen zu sein.
»Vor
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