Brans Reise
und die Wellen drohten, die Breitseite des Schiffes wieder Richtung Land zu drücken. So ist es, Skerg zu sein, dachte Bran. Er bewegte das Steuer und drehte das Schiff in die Wellen. Nur weil sie ihn jetzt anders nannten, erwarteten sie von ihm, ein erfahrener Seemann zu sein. Als sie die Vertäuung an der Felswand gelöst hatten, hatte nicht einer von ihnen einen Blick auf das Ruder geworfen. Denn es war schwierig, von hier abzulegen, und er verstand, dass dies eine Aufgabe der Skerge war.
»Noch mehr Leute an die Ruder?« Nangor spähte zu den Felsen hinüber. Sie waren nur einen knappen Steinwurf von den Felsen entfernt.
»Alle«, sagte Bran, und der Seeräuber beorderte Sturm, Tarba und den Rest der Mannschaft unter Deck.
Bald spürte er, dass das Schiff nun richtig vom Land wegkam. Er steuerte es zum Rest der Flotte hinüber, die bereits einen großen Vorsprung hatte. Jetzt spürte er, wie das Meer unter dem Rumpf wogte. Es war ein mächtiges Gefühl der Ruhe, das Gedanken und Bilder in ihm wachrief. Er klemmte das Steuer unter seinen Oberarm und stellte sich seitlich an Deck. So konnte er zurück zur Burg blicken. Der zunehmende Mond hing oval über der westlichen Ecke. Feuer züngelte aus den Pfählen hinter der Brustwehr. Die Menschen auf den Felsen waren jetzt nur noch Schatten, und die Fackeln in ihren Händen sahen wie Sterne aus. Sie blinkten und zitterten jedes Mal, wenn sich die Menschen, die sie trugen, bewegten. Er fragte sich, ob Tigam und Inien unter ihnen waren. Er hatte mit ihnen darüber gesprochen, doch beide hatten in Arborg bleiben wollen.
Vor der Abfahrt war er lange auf dem Langschiff herumgelaufen, hatte an Tauen gezogen und Wasserschläuche und Säcke mit Trockenfleisch gezählt. Er sah sich selbst in Tirgas Hafen segeln, und er war nicht mehr der einfache Krieger in einem Heer von Menschen, sondern Skerg und Herr seines eigenen Schiffes. Lange saß er in der Kammer im Bug und starrte auf die Karten. Er fuhr mit den Fingern über die unverständlichen Striche und Zeichen und lauschte der Seele des Schiffes.
Erst als er wieder zur Burg hinaufgegangen war, hatte er sich an Visikals Worte erinnert. Es war an der Zeit, nach Tirga zu segeln. Am Tor fragte er nach ihnen, und die Wache begleitete ihn zu einem großen Steinhaus. Drinnen saßen viele Frauen um ein Feuer herum, unter ihnen Tigam und Inien. Die fremden Frauen standen auf und gingen nach draußen, doch Tigam und Inien blieben sitzen.
»Tigam.« Er hockte sich neben sie ans Feuer, und die Frau sah alt und müde zu ihm auf.
»Ich segle heute Abend mit den Tirganern, und ich wollte euch fragen…« Er sah zu Inien hinüber, die mit einem Schürhaken im Feuer herumstocherte. »Wollt ihr mitkommen?«
Inien fasste sich an ihr Sklavenmal. »Du sagst, du kommst von der anderen Seite des Meeres? Willst du dorthin?«
Er strich sich die Haare in den Nacken. Sie blickte zu Boden, und er wusste, dass sie das tat, um sein zerschundenes Ohr nicht sehen zu müssen.
»Ich werde niemals mehr zu den Ländern im Norden zurückkehren.« Er stand auf und sah vom Feuer weg, denn die Flammen weckten schlimme Erinnerungen. »Aber im Frühjahr kannst du mit den Arborgern fahren. Ich habe gehört, dass sie bis hinauf nach Krugant Handel treiben. Vielleicht setzen sie dich in Kels ab.«
»Vielleicht«, sagte sie.
Bran trat in die Türöffnung. Männer standen an der Hausecke und unterhielten sich, und Frauen gingen mit Krücken und Brotkörben unter den Armen vorbei. Der Schnee war weggetreten worden und hatte sich in den Spalten zwischen den Steinplatten gesammelt. Nur noch die vereinzelten Schreie der Sterbenden und Verwundeten erzählten von dem Krieg, der gewütet hatte.
»Ich möchte euch danken.« Er drehte sich halb zu ihnen um. »Für das Essen und die Wärme. Ich hoffe…«
Tigam sah ins Feuer und lächelte, doch er wusste nicht, warum. So trat er auf die Straße, ging in Richtung Tor und stand plötzlich außerhalb der Mauern. Da sah er die Old-Myrer von ihrem Lagerplatz aufbrechen. Sie saßen auf, hoben ihre Lanzen zum Gruß und ritten nach Süden. Er erkannte Katga und Gebrochene Lanze an der Spitze des Heeres. Dann waren sie hinter den Hügeln verschwunden.
Jetzt war Arborg nur noch eine Reihe von Fackeln in der Ferne, ein Sternenrand, der im Meer versank, wenn das Langschiff in ein Wellental glitt. Noch immer hörte er die Sackpfeifen, doch sie waren nur noch ein Flüstern, wie Stimmen, die sich mit dem Rauschen des Meeres
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