Brans Reise
der zum Strand hinunterführte. Bran hörte einen anderen Ton in Visikals Stimme, als spräche dieser zu einem Sohn oder einem Freund.
Sie trafen ihn am Strand. Virga und Nangor rannten zur Schiffsseite, kletterten auf die Reling, trommelten mit den Handflächen auf die Bronzeschilde und jubelten wie verrückt, ehe sie wieder zurück in den Sand sprangen. Tarba wartete mit einem halb vollen Weinschlauch in der Hand, und als Bran zu ihm vortrat, umarmte er seinen Tileder und begann wie ein Kind zu weinen.
»Kümmere dich nicht um ihn.« Nangor kratzte sich am Bart. Er hatte die Zöpfe gelöst, aber der Scheitel in der Mitte seines Kinns war trotzdem noch zu erkennen. »Tarba weint, weil er unser Tileder sein musste, während du weg warst. Und das war nicht einfach.«
Zwei Messer und Sturm stellten sich neben Nangor. Tarba ließ Bran los und suchte Trost im Wein. Die Brüder blinzelten in die Sonne. »Keer«, murmelte Sturm. Seine roten Frostmale flammten in seinem Gesicht auf.
»Er fiel im Kampf.« Bran erinnerte sich daran, was der Tirganer gesagt hatte, als er sich an die Birke lehnte. »Im Kampf für Cernunnos. Und er starb ehrenvoll.«
Die Brüder drehten sich um und kletterten an Bord des Langschiffes. Kengber Vosnabar und Nosnavar winkten ihm vom Deck aus zu. Er lächelte, denn keiner von ihnen hatte ihm zuvor so viel Freundlichkeit entgegengebracht.
»Ich habe dich gesehen.« Virga spähte zu Tarba hinüber, als habe er Angst, der Alte könne ihn hören. »Gestern war ich oben in der Burg, denn ich wollte beim Schmied ein Messer kaufen. Du gingst zusammen mit Katga der Hundert Kämpfe und Gebrochene Lanze sowie einer alten Frau zu dem Saal hinauf, in dem Blutskalle lag. Wer war die alte Frau?«
»Tigam.« Bran hielt die Luft an und fühlte sich mit einem Mal so müde. »Ich habe sie auf einem Hof in Vandar gefunden.«
Die Männer schüttelten den Kopf und seufzten. Eine Zeit lang quälte ihn niemand mehr mit weiteren Fragen. Erst jetzt sah Bran sie als die Gruppe von Kriegern, die sie waren, und er bemerkte, dass sie weniger geworden waren. Die drei Brüder, die Katzenbrüder, waren nicht mehr unter ihnen.
»Wo sind…« Für ihn waren sie immer die Katzenbrüder gewesen. Jetzt ärgerte er sich, dass er sie nie nach ihrem Namen gefragt hatte.
»Kramas Söhne sind alle tot.« Tarba sah auf seine Handflächen hinab. »Ben, Emain und Tegme sind den Pfeilen der Vandarer zum Opfer gefallen. Ich hielt Emain in meinen Armen, als er starb, denn er lebte noch, als wir von Oart wegruderten. Das Meer holte sich ihn, noch ehe die Sonne unterging.« Der Alte schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seinem Weinschlauch.
Bran drehte sich zur Burg um. Die Sackpfeifenspieler standen auf den Mauern, die Bälge unter dem Arm und die Knochenpfeifen zwischen den Lippen. Die Töne hatten den Rhythmus des Meeres. Sie waren ein Teil des Rauschens der Wellen, die über den Strand spülten.
»Sie spielen für Blutskalle.« Tarba wischte sich über den Mund. »Für Kramas Söhne, für Keer, den Sänger, für alle, die im Krieg gefallen sind.«
Bran trat zur Seite des Schiffes hinüber. Noch immer steckten die Pfeilspitzen zwischen den Schilden. »Wie ist es geschehen?«
»Es heißt, er sei einem Schwerthieb erlegen.« Nangor trat in den Sand. »Nach der Schlacht bei Torman entschloss sich Blutskalle, mit zehn Schiffen nach Cogga zu segeln. Mehr weiß ich nicht. Acht Tage sind vergangen, seit Blutskalle an Land gebracht wurde, und zu Beginn versuchten sie noch, ihn zu retten. Doch alle wussten, dass seine Wunden tödlich waren. Vor zwei Tagen legten sie ihn in diesen Saal dort oben.«
Bran fuhr sich mit der Hand über die Augen. Wieder loderte der alte Schmerz auf. Er war müde nach der durchwachten Nacht.
»Lasst uns an Bord gehen.« Nangor sprang hoch und hielt sich an der Reling fest, ehe er an Deck kletterte. Er reichte Bran seinen Arm. »Wir haben alle viel zu erzählen. Und lasst uns das jetzt tun, ehe wir uns hinlegen.«
Sie sammelten sich unter Deck, und niemals zuvor hatte sich Bran so zu Hause gefühlt wie in dem Moment, als er sich an die Feuerstelle unter der Luke setzte. Das Schiff war vom Krieg gezeichnet, es hatte Kerben von Axt- und Schwerthieben, und der Mast war mit Pfeilspitzen gespickt. Nosnavar, Vosnabar und Kengber nahmen zwischen Brans Männern Platz. Auch sie wollten hören, wie der Nordmann im Feindesland überlebt hatte.
Zuerst erzählte Tarba von der Schlacht bei Oart und wie es
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