Brans Reise
offenen Verschlag, in dem sie armweise Trockentang übereinander stapelten. Schmale Rauchsäulen stiegen aus den Zeltöffnungen auf.
»Hagdar wartet in seinem Zelt.« Turvi stützte sich auf seine Krücke und humpelte voraus. »Und nicht nur er, glaube ich.«
Sie folgten ihm ins Lager. Bran erinnerte sich gut, wo Hagdars Zelt war, und als er auf die festgetretenen Pfade trat, kam es ihm plötzlich so vor, als sei er nie weg gewesen. Alles war so wie vor seiner Abreise. Dort unten am Weg lag das Zelt von Dielan und Gwen, und er glaubte, auch Kindergeschrei von dort zu hören. So viel war dennoch anders geworden. Der Schnee erzählte von den zahllosen Tagen, die vergangen waren, seit er auf Visikals Schiff davongesegelt war. Zu viele Tage hatte er an Bord der Langschiffe und im Reich der Vandarer verbracht. Zu viel Morden miterlebt.
»Geh jetzt zu ihm hinein!« Dielan nickte zum Zelt hinüber. »Er hat so lange darauf gewartet. Und ihr…« Er wandte sich an die anderen. »Wir brauchen hier nicht zu stehen und zu glotzen. Wir haben viel zu tun! Lasst uns das Feuer anzünden und ein paar der Fische grillen, die Turvi gefangen hat!«
Das Felsenvolk lief auseinander und auf den Platz. Bran ging die letzten Schritte zum Zelt. Er erinnerte sich an den Tag im Lager im Norden, als Noj ihn gebeten hatte zu kommen. Bran spürte ihn noch immer in seinen Armen zusammensinken. Er roch den Geruch des sterbenden Mannes. Er schlug die Decke zur Seite und kroch hinein.
Nach der scharfen Wintersonne war das Halbdunkel im Zelt wie eine Wand aus Schatten. Er tastete sich über ein Fell und ließ die Decke vor der Tür wieder nach unten fallen.
»Bran?« Das war Hagdars Stimme. »Bran? Bist du es wirklich?«
Bran schloss die Lider und ließ seine Augen sich an das Dunkel gewöhnen. Ein Bündel Trockentang glühte auf der Feuerstelle.
»Leg ein paar Zweige aufs Feuer, Linvi!«
Eine schmale, rußige Hand kam neben der Glut zum Vorschein. Er konnte Linvis rundes Gesicht über der Wärme erkennen. Sie beugte sich vor, blies in die Glut, und bald züngelten Flammen um das Holz. Das Licht vertrieb die Schatten mit dem Rauch. Bran blinzelte zu den Fellen auf der anderen Seite des Feuers hinüber.
»Hagdar«, sagte er, denn dessen bärtiges Gesicht war das Erste, was er im Licht der Flammen erkannte. Der große Mann lag in Decken und Pelze gehüllt auf der Seite. Er lächelte, wie Freunde lächeln, die lange getrennt waren. Dann wandte er seinen Blick in die dunkle Ecke neben Linvi. Und Bran sah Tir, wie er sie in seinen Träumen gesehen hatte. Sie saß an einem Kessel und hielt einen Holzlöffel in der Hand. Sie war weiß und schmal über den Wangen. Ihre Augen waren so groß und still, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte.
»Nein, kümmere dich nicht um mich.« Hagdar richtete sich auf seinen Ellenbogen auf, machte eine Grimasse und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. Der Schweiß rann über seine Stirn. »Nimm sie ein bisschen in den Arm, Häuptling. Das tut dir gut.« Dann sank er wieder auf dem Lager zusammen. Das Fell rutschte von seiner Brust und legte die nässende Wunde an seinem Hals frei. Bran spürte, wie ihm der Atem im Hals stecken blieb. Hagdar war dünn geworden. Seine Rippen lagen wie Äste unter einer ledernen Zeltplane. Und jetzt bemerkte er auch, wie eingefallen seine Wangen waren. Nur seine Arme waren noch immer dick und stark.
»Ja«, seufzte Hagdar. »Ich sehe, dass du es siehst. Aber sei froh, dass ich noch immer lebe. Tir hat mich am Leben erhalten, seit Vaman mich am Hafen abgeladen hat.«
»Es ist gut, dich zu sehen«, sagte Bran lächelnd. »Und dich, Linvi.«
Linvi strich sich die Haare zurück und steckte sie hinters Ohr. Bran neigte leicht den Kopf und sah zu der Frau an ihrer Seite hinüber. Tir erschien ihm ganz fremd, und das wunderte ihn, denn in der Nacht im Turm war sie ihm so nah gewesen. Sie hielt noch immer den Löffel in der Hand. Sie saß auf der Seite und stützte sich mit der anderen Hand am Boden ab.
»Ich bin zurück.« Er flüsterte ihr das zu, denn er fürchtete ihre Antwort.
»Ich…« Sie sah zu Boden und begann im Kessel zu rühren. Bran kroch um das Feuer herum und kniete sich neben ihr hin. Ihr Geruch ließ ihn schwindlig werden, und er schob seine Hand vor, um ihr Gesicht zu berühren. Da ließ sie den Löffel los und packte den Kragen seines Pelzumhangs, wobei sie aber noch immer wegsah.
»Bevor du weggefahren bist… Du hast mich gebeten…« Ihre Hände kneteten seinen
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