Brans Reise
neue Land gezeigt hatte? Und wie er über die Tirganer sprach! Ein fremdes Volk, hatte Turvi sie genannt. Bran wurde mit einem Mal klar, dass er ebenso Arer wie einer des Felsenvolkes war. Das Blut hatte ihn mit diesem Land verbunden.
»Hagdar war immer eine gute Stütze für dich und deinen Bruder.« Turvi versteckte die Hände unter seinem Umhang und zitterte vor Kälte. »Aber in der letzten Zeit… Seit er wieder hier ist, ist er krank. Und auch, dass es dir nicht gelungen ist, deinen eigenen Freund vor den Pfeilen der Feinde zu schützen, hat Velar mehr Macht gegeben.«
Bran trat zu dem Alten vor. Er spürte seine Hand auf der Axt. »Das war nicht meine Schuld!« Er ballte die Faust und zog die Lippen hoch. »Das waren die Feinde! Ich konnte nichts tun.«
Er hockte sich neben dem Boot hin. Turvi klopfte ihm auf die Schulter.
»Du hast dich verändert.« Dielan trat vor sie, während er lange über das Meer schaute. »Gwen hat das vorausgesehen. Sie hat gesagt, dass du wie ein gejagter Hund werden würdest.«
Bran fasste sich an den Kopf. Die Schmerzen kamen wieder. Die Krallen krochen an seinem Hinterkopf empor. »Ich habe…« Er setzte sich neben Turvi. »Ich habe merkwürdige Dinge gesehen.« Das Kriegsgeschrei hallte wie ein Echo aus vergangenen Tagen durch seinen Kopf. »Grausame Dinge, Dielan. Aber ich selbst, ich selbst bin auch grausam gewesen. Es war in mir.«
Turvi schlug mit seiner Krücke gegen das Boot. »Jetzt ist nicht die Zeit für solche Gedanken! Es kommt mir fast so vor, als wäre ich der Einzige, der sich daran erinnert, auf was wir alle gewartet haben!« Er schob sich mit seiner Krücke hoch und hinkte davon. »Febals Söhne! Der Tag ist schon lang angebrochen! Und du, Bran, stinkst wie ein dreckiges Fell. Wir sollten sehen, dass wir Wasser für dich aufsetzen, ehe es zu spät ist!«
Als sie ins Lager kamen, stellte sich der Einbeinige ans Feuer und rief das Felsenvolk zusammen. Er rief ihnen allen zu, dass er sich an die Abmachung erinnerte und dass Visikal sein Versprechen halten müsse, wenn die Tirganer ein Volk von Ehre seien. Denn es war so, wie er es vor Brans Abreise gesagt hatte. Er zeigte auf ihn und verkündete, dass der Fortbestand der Sippe des Häuptlings gesichert sei und dass Brans Sippe zahlreich werden würde, wenn die Namenlosen das wollten.
Bran stand bei Dielan und sah sich die Männer und Frauen an, während Turvi sprach. Er wollte mit Velar sprechen, denn er erinnerte sich an etwas, das der Einbeinige einmal erzählt hatte. Drei Generationen vor Noj hatten zwei Männer darum gekämpft, Häuptling zu werden. Die zwei waren sich gegenübergetreten, und ein Riemen war um sie gespannt worden, so dass sie Brust an Brust standen. Jeder von ihnen bekam ein Messer, und mit der freien Hand hielten sie den Waffenarm des anderen fest. Das war der Kampf der Häuptlinge, und der Riemen wurde nicht eher gelöst, bis einer von ihnen leblos auf dem blutigen Körper des Siegers hing. Doch er hatte inzwischen genug Unfrieden erlebt. Er blickte auf seine Fäuste hinab. Die braunen Flecken des getrockneten Blutes klebten noch immer unter seinen Nägeln.
Da erklang ein Rufen vom Hafen. Nakkar und seine Männer kamen herbei und trugen ein paar lange Pfähle und einen ganzen Stapel Häute. Das Felsenvolk machte ihnen Platz, und Nakkar verbeugte sich kurz vor Bran.
»Visikals Sohn, Häuptling der Nordmänner«, keuchte er. »Wir kommen mit einer Botschaft von Visikal.« Er zog ein Pergament unter seinem Gürtel hervor, entfaltete es und begann mit lauter Stimme zu sprechen:
»An Bran, den vierten Skerg. Du hast mit Ehre gekämpft, und aus Ehre werde ich dir morgen Tir, die Tochter meines Bruders, zur Frau geben. Du wirst jetzt einer meiner Sippe sein, und deine Kinder werden die Kinder Tirgas sein und Ars Stärke und Stolz in sich haben.«
Der Hafenmeister sah sich um, um sich zu vergewissern, dass ihm alle zuhörten.
»Ich habe dich als einen Mann voller Stärke und Stolz kennen gelernt. Deshalb lasse ich meine Krieger ein Zelt für dich und deine Frau errichten. Doch dir sei versichert, dass auch meine Burg dich willkommen heißt.«
Bran sah zu dem Turm empor, der ganz oben am Hang stand. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Tir würde die seine werden. Am liebsten hätte er seine Arme in die Höhe gerissen und gejubelt, doch Nakkars ernstes Gesicht verriet ihm, dass ein solches Verhalten unpassend wäre.
»Er möchte, dass du auf das Zelt verzichtest und bei ihm wohnst«,
Weitere Kostenlose Bücher