Brans Reise
»Folgt mir«, sagte er winkend. »Ich werde Visikal sagen, wer ihr seid.«
Bran ging hinter ihm, dicht gefolgt von Dielan, Hagdar und Turvi. Er betrat den Saal, in dem ihm der stumme Diener mit der Wasserschüssel entgegengekommen war. Der Saal war so, wie er ihn in Erinnerung hatte, doch dieses Mal sah er keinen Diener. Ein Mann saß am Tisch, ein Krieger mit Kettenhemd und langen Armen. Er hatte den Stuhl zum Kamin gedreht und sein Schwert achtlos auf den Boden geworfen.
»Was gibt es?« Er hob einen Krug an, der in seinem Schoß geruht hatte. »Lass mich in Ruhe, Vare! Du weißt, dass ich Kopfweh habe.«
Der Weißbärtige holte tief Luft und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es sind ein paar Männer hier. Männer des fremden Volkes. Ihr Häuptling möchte mit dir sprechen.«
Der Mann im Stuhl leerte in aller Ruhe seinen Krug. Das Gefäß war aus Bronze und mit roten Juwelen besetzt. Nachdem er ausgetrunken hatte, begann er, den Krug in seinen Händen hin und her zu drehen. Der Weißbärtige schüttelte den Kopf und ging hinaus. Als die Tür ins Schloss fiel, lehnte sich der Mann zur Seite und stellte den Krug auf den Boden. Er nahm den Gürtel mit seinem Schwert und erhob sich. Der müde Körper verwandelte sich, als er sich den Gürtel umband: Er streckte seinen Rücken und schob das Schwert mit sicheren Bewegungen an seinen Platz hinter der Hüfte.
»Ich bin Visikal«, sagte er, wobei er noch immer in die Flammen im Kamin blickte. »Ich habe von dir gehört, Bran. Ich stehe in deiner Schuld, denn du hast einen meiner Feinde getötet und meine Nichte nach Hause gebracht.«
Bran spürte Turvis Krücke im Rücken. »Du musst auch ihn loben«, flüsterte er.
Visikal wandte sich vom Feuer ab. Bran begegnete seinem Blick und wusste, dass er nicht wegsehen durfte, denn das wäre ein Zeichen von Schwäche.
»Du hast eine große Hütte.« Bran deutete mit der Hand zur Decke, um den Blick des Mannes auf etwas anderes zu lenken, doch Visikal ließ sich nicht verwirren.
»Hütte?« Er lachte. »Ein Mann, der das hier eine Hütte nennt, hat viel Großes gesehen.«
Bran verstand nicht, was Visikal damit meinte. Aber das Lachen war ein gutes Zeichen.
»Bedank dich für alles, was die Stadt uns gegeben hat!«, flüsterte Turvi.
»Wir sind dankbar«, wiederholte Bran. »Für die Zelte und das Essen. Die Stadt hat mein Volk freundlich aufgenommen.«
Visikal gab ihm darauf keine Antwort. Er strich seine langen Haare nach hinten, so dass die grauen Strähnen in dem Öl glänzten, das seine Frauen hineingeknetet hatten. »Jemand hat gesagt, du seist einohrig?« Er ging ein paar Schritte auf Bran zu. »Stimmt das?«
Bran mochte es nicht, wie der Skerg seinen Kopf zur Seite neigte und so offensichtlich versuchte, sein vernarbtes Ohr zu sehen. Wie gewöhnlich ließ Bran seine langen Haare auf dieser Seite des Kopfes über die Schulter hängen, doch Visikal wusste anscheinend, dass ihm etwas hinter den Locken fehlte.
»Ich bin nicht einohrig.« Er strich sich die Haare nach hinten und ließ den neugierigen Mann nachsehen. »Ich wurde in einer Schlacht verletzt.«
Visikal zog die Augenbrauen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. »Das ist eine Kriegswunde, ja. Das sehe ich. Einen Moment lang hatte ich Angst, du hättest dir das Ohr abgeschnitten, wie die Priester in Vandar. Aber du hasst die Vandaren wohl ebenso wie ich?«
»Ja.« Bran wollte Visikal nicht widersprechen, und außerdem erinnerte er sich daran, was Tir über die Vandarer erzählt hatte. Sie hatten ihre Familie getötet und sie vertrieben. »Ich hasse die Vandarer und alle Feinde Tirgas.«
Das hörte Visikal gern. »Freunde!« Er deutete zum Tisch. »Setzt euch. Lasst uns trinken, um den Frieden zwischen unseren Völkern zu besiegeln!« Dann ging er zur Treppe und schrie nach oben: »Frauen! Bringt Wein und Met. Wir haben Gäste.«
Bran half Turvi, während sich Dielan und Hagdar setzten. Visikal schob seinen Stuhl an den Tisch zurück, und Bran setzte sich auf den letzten freien Platz links neben ihn. Visikal schwieg jetzt, und Bran fragte sich, wie er sein Anliegen vorbringen sollte. Er blickte zu Turvi hinüber und gab ihm mit einer kurzen Kopfbewegung ein Zeichen. Der Einbeinige räusperte sich.
»Deine Nichte ist eine gute Heilerin«, sagte er. »Ohne sie wäre Bran gestorben, ohne einen Nachfolger zu hinterlassen. Und wenn ich schon über einen Nachfolger spreche…«
Da erschien eine Frau auf der Treppe. Sie hatte graue Haare und war
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