Brasilien: Ein Land der Zukunft
werden nie mehr ganz zu rekonstruieren sein, da Ruy Barbosa, um von der jungen Republik von 1890 diese Schmach der Vergangenheit zu tilgen, um einer edel-gemeinten Geste willen Auftrag gab, die Archivdokumente der Sklaveneinfuhr zu verbrennen.
Der Sklavenhandel gilt lange Zeit in Brasilien als das zwar nicht angesehenste, aber ergiebigste Geschäft; finanziert von London oder Lissabon, liefert er dem Verfrachter wie dem Verkäufer sicheren Gewinn dank des immer steigenden Bedarfs. Zunächst scheint der Negersklave, der im Durchschnitt mit fünfzig bis dreihundert Milreis auf dem Sklavenmarkt in Bahia gehandelt wird, verhältnismäßig teuer im Vergleich zum eingeborenen Sklaven, der bloß mit vier bis höchstens siebzig Milreis notiert wird.
Aber bei dem Erstehungspreis eines starkknochigen Senegal- oder Guineanegers müssen die Frachtkosten, der Abschlag für die auf der Fahrt lädierte und ins Meer geworfene Ware, der ungeheure Zwischengewinn der Sklavenjäger, der Sklavenhändler und Kapitäne eingerechnet werden und überdies noch der Einfuhrzoll von dreitausend bis dreitausendfünfhundert Reis (3 bis 3½ Milreis), den der allerchristlichste König von Portugal bei diesem dunklen Geschäft für jeden einzelnen Sklaven sofort bei der Alfândega, dem Zollamt einfordert und einkassiert. Trotz dieses hohen Preises bleibt doch für den Fazendabesitzer die Anschaffung von Negern ebenso unentbehrlich als die von Hacke und Pflug. Ein kräftiger Neger arbeitet, wenn ab und zu gründlich gepeitscht, zwölf Stunden, ohne dafür eine Entlohnung zu bekommen; außerdem stellt die Investition nicht bloß eine einmalige Kapitalsanlage dar, sondern auch eine zinsenbringende, denn der Negersklave vermehrt selbst in seinen wenigen Mußestunden noch den Besitz des Herrn durch die Kinder, die er zeugt, und die selbstverständlich als neue kostenlose Sklaven in den Besitz des Herrn übergehen; ein Negerpaar, im sechzehnten Jahrhundert erworben, schafft der Familie seines Herrn in zwei oder drei Jahrhunderten ein ganzes Sklavengeschlecht. Diese Sklaven stellen die motorische Kraft dar, die den Betrieb der großen Fazenden in Schwung hält, und da die Erde selbst in dem ungeheuren Land fast wertlos ist, mißt sich der Reichtum eines Plantagenbesitzers ebenso an der Anzahl von Negern, wie man in der Feudalzeit Rußlands das Vermögen eines Gutsbesitzers nach der Anzahl der »Seelen«, die er eignete, maß. Bis tief in das neunzehnte Jahrhundert sind die Sklaven in immer anwachsender Masse die eigentlichen Träger der Wirtschaft. Auf ihren Schultern lastet das ganze Gewicht der kolonialen Produktion, während die Portugiesen nur als Beamte, Aufseher oder Unternehmer den ständigen Lauf dieser von Millionen schwarzen Armen in Schwung gehaltenen Arbeitsmaschine überwachen und dirigieren.
Diese allzu scharfe Zweiteilung in Schwarz und Weiß, in Herren und Sklaven ist von allem Anfang an bedenklich, und sie hätte ohne die ausgleichende Gegenleistung der im Binnenland einsetzenden Kolonisation unaufhaltsam die Einheit Brasiliens zerspalten. Ohnehin entbehrt in den Anfangszeiten das weite Land noch seines statischen Gleichgewichts, denn im ersten und tief bis ins zweite Jahrhundert sammelt sich alle tätige Kraft und darum aller Blut- und Menschenzudrang im Norden. Für die damalige Welt bedeutete – sehr im Gegensatz zu dem Niedergang von heute – die tropische Zone Brasiliens die eigentliche Schatzkammer; dort staut sich die ökonomische Leistung solange zusammen, bis die erste und hastigste Gier Europas nach kolonialen Produkten gesättigt ist. Bahia, Recife, Olinda, Pernambuco entfalten sich aus bloßen Umschlagplätzen zu wirklichen Städten und bauen Kirchen und Paläste zu einer Zeit, da im Binnenland sich erst ganz schüchterne Hütten und hölzerne Kirchen erheben. Hier landen oder laden unablässig europäische Schiffe, hier strömt ständig der schwarze Rohstoff der Sklaven ein, hier werden neun Zehntel aller kolonialen Waren über den Ozean verpackt und verschifft, hier etablieren sich die ersten Kontore, und nah diesen tropisch aufwachsenden Städten schließen sich um des bequemeren Transports willen die ergiebigsten Engenhos und Plantagen zusammen. Wer 1600, 1650 und eigentlich noch um 1700 in Europa den Namen Brasilien ausspricht, meint damit nichts anderes als den Norden und dort eigentlich nichts als die Küste mit ihren schon weltbekannten Hafenstädten, ihrem Zucker, ihrem Kakao, ihrem Tabak, ihrem Handel, ihrem
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