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Brasilien: Ein Land der Zukunft

Brasilien: Ein Land der Zukunft

Titel: Brasilien: Ein Land der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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wächst hier wild, und seinen Blättern wird die beste Qualität zuerkannt. Ebenso wie sein Bruder, der Zucker, erfordert der Tabak keine umständliche Pflege und Wartung. Man braucht nur die Blätter von dem ohne weitere Bemühung aufwachsenden Strauch abzureißen, zu trocknen, zu rollen, und das hier fast Wertlose wandert als wertvolle Ware zum Schiff.
    Zucker, Tabak und in geringerem Umfang noch Schokolade, das dritte begehrliche Objekt neumodischer europäischer Geschmacklüsternheit, bleiben die drei Hauptpfeiler, die Brasiliens Wirtschaft bis ins achtzehnte Jahrhundert stützen. Ihnen gesellt sich, sobald Europa gelernt hat, Baumwolle zu verspinnen, noch der Coton, der »algodão«, als vierter Bruder hinzu. Die Baumwolle ist von Anfang an in Brasilien heimisch, sie wächst wild in den Wäldern des Amazonas und in anderen Provinzen, aber im Gegensatz zu den höher kultivierten Azteken und Peruanern wußten die Eingeborenen noch nicht die Fäden zu verspinnen; einzig im Kriege verwerteten sie die Flocken auf ihren Pfeilen, um damit fremde Niederlassungen in Brand zu setzen, und im Gebiet des Maranhão diente die Baumwolle kurioserweise sogar als Zahlungsmittel. Noch weniger weiß Europa zunächst mit der Baumwolle zu beginnen; obwohl schon Columbus einige Flocken dieser weißen Wolle nach Spanien mitbringt, wird niemand ihrer zukünftigen Bedeutung als Textilstoff gewahr. In Brasilien dagegen wissen die Jesuiten, offenbar durch Berichte aus Mexiko belehrt, schon 1549 um seine Eignung und unterweisen die Eingeborenen, ihn in ihren »aldeias« [Dörfern] zu verspinnen. Wirklicher Großhandelsartikel kann der Coton aber erst durch die Erfindung der Spinnmaschinen werden (1770–73), mit denen die sogenannte »industrielle Revolution« einsetzt. Vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts an benötigt insbesondere England, das über eine Million Textilarbeiter beschäftigt, für seine Weltproduktion immer größere Quantitäten und zahlt immer bessere Preise. So wird Baumwolle, die früher wild in den Wäldern wuchs, jetzt in Brasilien systematisch angepflanzt; schon zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts stellt der Export an »algodão« beinahe die Hälfte der brasilianischen Gesamtausfuhr dar und damit die Rettung des Handelsequilibriums; der scharfe Preisrückgang des Zuckers wird durch diese gigantische Ausfuhr in einer jener raschen und glücklichen Umstellungen ausgeglichen, die für die Wirtschaftsgeschichte Brasiliens so typisch sind.
    Alle diese Rohstoffe, Zucker, Tabak, Kakao und Baumwolle, werden nur roh geliefert und im Lande selbst nicht weiter verarbeitet; es wird noch langer Entwicklung bedürfen, ehe Brasilien genug frei und genug reif sein wird für eine organisierte und mechanisierte Veredlungsindustrie. Seine ganze Leistung beschränkt sich auf Pflanzung, Pflückung und Verschiffung der sogenannten »Kolonialwaren«, also auf die primitiven Prozesse, die zu ihrer Verrichtung nichts anderes benötigen als Hände. Allerdings viele und billige Hände. Menschen sind darum der dringlichste Rohstoff, den dies an allen Stoffen der Natur überreiche Land in immer größeren Quantitäten einführen muß; es ist vielleicht die merkwürdigste Eigenheit seiner Wirtschaftsgeschichte, daß es Brasilien zu jeder Zeit an der jeweils besten motorischen Kraft fehlen wird und es sie importieren muß – in den früheren Jahrhunderten den menschlichen Arm, im neunzehnten die Kohle und im zwanzigsten das Benzin. Daß es in jenen ersten Jahren von dieser motorischen Kraft die billigste sucht, ist selbstverständlich. Zuerst bemühen sich die Kolonisten, die Eingeborenen zu versklaven; da diese sich infolge ihrer zarteren Konstitution als leistungsschwach erweisen und überdies die Jesuiten immer wieder auf die königlichen Edikte zum Schutz der eingeborenen Bevölkerung hinweisen, setzt von 1549 an ein regelrechter Import von »schwarzem Elfenbein« aus Afrika ein. In »Tumbeiros« [den ›Todgeweihten‹] – so genannt, weil auf diesen grauenhaften Schiffen immer die Hälfte der zusammengepferchten und geketteten Neger bei der Überfahrt zugrunde geht – werden Monat für Monat und bald Woche für Woche neue Ladungen dieses lebendigen Rohstoffs herübergebracht; in drei Jahrhunderten führt Brasilien mindestens drei Millionen Sklaven von den zehn Millionen ein, die der neue Weltteil aus dem geplünderten und entvölkerten Afrika bezieht; die genauen Zahlen (manche schätzen den Import sogar auf viereinhalb Millionen)

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