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Brasilien: Ein Land der Zukunft

Brasilien: Ein Land der Zukunft

Titel: Brasilien: Ein Land der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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großmütig speist, jene wunderbare Natur von Rio, die es der Seele verbietet, schwermütig und unglücklich zu sein, weil sie unablässig tröstet mit ihrer weichen, beschwichtigenden Hand. Wie oft bin ich diese glitschigen, lehmigen Stufen hinaufgeklettert in diese Negerdörfer, und nie habe ich hier einen unfreundlichen, einen unfreudigen Menschen gefunden. Ein sonderbares, ein unvergleichliches Stück Rio wird mit diesen Favelas verschwinden, und ich kann mir die Hügel von Gávea, den alten Morro kaum denken ohne diese kleinen, dem Felsen kühn aufgeklebten Dörfer, die mit ihrer Primitivität daran erinnern, wie vieles an Zuviel wir haben und fordern, und daß selbst im Minimum der Existenz wie in einem Tautropfen sich die ganze Vielfalt des Lebens zusammenfassen kann.
    Auch eine andere Kuriosität von Rio wird bald dem zivilisatorischen Ehrgeiz und vielleicht der Moral zum Opfer fallen – wie in so vielen Städten Europas, in Hamburg, in Marseille: der eine Straßenzug, von dem man nicht spricht, die Mangue, der große Liebesmarkt, das Yoshiwara [Tokioter Freudenviertel] von Rio. Daß doch auch hier noch in letzter Stunde ein Maler käme, um diese Straßen festzuhalten, wenn sie abends unter den Sternen mit grünen, roten, gelben, weißen Lichtern und wehenden, fliehenden Schatten schimmern, ein phantastischer, ein orientalischer Anblick, wie ich ihn kaum ähnlich im Leben gesehen, und überdies noch geheimnisvoll durch die aneinandergeketteten Geschicke! Fenster an Fenster oder vielmehr Tür an Tür stehen und warten hier wie exotische Tiere hinter den Gitterstäben tausend oder sogar fünfzehnhundert Frauen aller Rassen und Farben, jeden Alters und jeder Herkunft, senegalische schwarze Negerinnen neben Französinnen, die ihre Altersrunzeln kaum mehr überschminken können, zarte Indierinnen und feiste Kroatinnen auf die Kunden, die in unaufhörlichem Zug vor diesen Fenstern vorüberspähen, um die Ware zu prüfen. Hinter ihnen schimmert in bunten Farben die Ampel und erhellt mit magischen Reflexen den rückwärtigen Raum, in dem sich das hellere Bett aus den Schatten hebt, ein rembrandtisches Clairobscur [Helldunkel], das diesen täglichen und überdies erschreckend billigen Betrieb beinahe mystisch macht. Aber das Überraschendste, das zugleich Brasilianische bei diesem Markte ist die Stille, die Gelassenheit, die ruhige Disziplin; während in den Gassen von Marseille, von Toulon in solchen Straßen alles dröhnt von Lachen, Geschrei, Hochrufen und tollgewordenen Grammophonen, während die betrunkenen Gäste dort wild und gefährlich durch die Gassen grölen, bleibt hier alles bildhaft und leise. Ohne sich zu schämen, mit südländisch-ehrlicher Unbefangenheit wandern die jungen Leute an diesen Türen vorbei, um manchmal wie ein rascher Strahl Licht in ihren weißen Anzügen dort zu verschwinden. Und über all diesem stillen, heimlichen Geschehen steht der Himmel mit seinen Sternen; auch dieser abseitige Winkel, der sich in anderen Städten, seines Geschäfts irgendwie schamvoll bewußt, in die häßlichsten und verfallensten Quartiere drückt, hat in Rio noch Schönheit und wird ein Triumph der Farbe und des vielfältigen Lichts.
    Werden wirklich auch die alten »bondes«, die offenen Trambahnen verschwinden und durch geschlossene »moderne« Wagen ersetzt werden? Es wäre unermeßlich schade, denn sie geben den Straßen einen sausenden, schmetternden Glanz. Welch ein Anblick, dessen man nie müde wird, diese überfüllten offenen Wagen, wo an den Trittbrettern die Männer wie Bündel weißer Trauben überhängen! Und nachts, wenn sie fahren, das Licht innen ergossen über die schwarzen, braunen, hellen Gesichter – es ist immer, als ob ein Blumenbouquet farbig vorbeigeschleudert würde! Und wie angenehm, in ihnen zu fahren! An den heißesten, den schwülsten Tagen kauft man sich in ihnen für einen Cent die schönste, die erfrischendste Brise und sieht dabei – im Gegensatz zu den Sargkästen der geschlossenen Automobile – rechts und links in die Straße, in die Geschäfte, in das Leben hinein. Nirgends kann man besser Rio, das wirkliche Rio erforschen, nicht im Cookautomobil und im Privatwagen, als in diesem Gefährt des kleinen Volkes; nur dank der »bondes« (sowie meiner Beine) glaube ich heute Rio wirklich zu kennen. Und ich brauche mich dieser Vorliebe nicht zu schämen, denn auch der Kaiser Dom Pedro II. liebte diese in ihren Geleisen scharf hinschmetternden, altmodischen Wagen so sehr,

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