Brasilien: Ein Land der Zukunft
und die Häuser; die Straßen, vormals nur für die schweren, langsamen Karossen gedacht, schwirren von Automobilen, die Unruhe von Rio rückt allmählich den Berg herauf. Aber die Lieblichkeit des Ortes wird niemals ernstlich bedroht werden können, denn die Natur selbst ist hier lieblich; die Berge zeigen keine Schroffen mehr, sondern weichen in flutenden Wellen zurück, überall leuchten und flammen die Blumen in dieser Stadt der Gärten. Tagsüber klimmt das Quecksilber hier ungehemmt empor, aber die Nächte sind im Gegensatz zu Rio kühl und die Schwüle entlüftet; noch ist es nicht die starke, die ozonische Luft, die wir mit dem Bergland verbinden, aber doch schon Kühle und Reine, von dem Atem der Wälder und der Blumen leise durchduftet.
Wer wirkliche Berglandschaft fordert, muß noch weiter empor nach Teresópolis, das einige hundert Meter höher liegt; es ist, als ob man von einer österreichischen Landschaft in eine schweizerische käme. Die Kulisse ist hier enger und strenger, die Wälder dunkler, die Berge schroffer im Abfall – an einer Stelle blickt man wie von einer Zinne unvermittelt, daß einem beinahe schwindlig wird, über das ganze Land bis nach Rio hinab. Nicht wie in Petrópolis liegen kurorthaft die Villen nebeneinander, sondern weit voneinander wie Bauerngehöfte im Grünen zerstreut. Hier und in [Nova] Friburgo, das schweizerischen Ursprungs ist, hat man zum erstenmal alpine Landschaft im europäischen Sinne, und in merkwürdiger Abscheidung sind es zumeist die Europäer, die hier übersommern (wenn man das Gegenwort zu überwintern wagen darf), während die brasilianische Gesellschaft sich traditionell in Petrópolis zusammenfindet.
So fragen die Freunde, wofür ich mich entschieden habe. Und ich entschied mich für Rio. Ich wollte dort den Sommer miterleben, denn man kennt eine Stadt, ein Land nur in seinen Extremen; man weiß nichts von Rußland, wenn man es ohne Schnee, nichts von London, wenn man es ohne seinen Nebel gesehen. Und ich bereue es nicht. Es ist heiß in Rio im Sommer, vielleicht mag es sogar keine Erfindung sein, daß man an den brennenden Tagen rohe Eier dort auf dem Asphalt garkochen kann, aber ich habe New York, wenn es dort einmal feucht zu dünsten beginnt und die Häuser zu Backöfen werden, schlimmer gefunden. Was allein den Sommer in Rio so lastend macht, ist, daß er zu lange dauert, drei und eigentlich vier Monate. Bei Tage erträgt man die Hitze leicht, denn es ist, wenn man so sagen darf, eine schöne, eine volle, eine reine Hitze, die Wärme einer prallen Sonne, eines strahlenden Himmels, der sich wolkenlos über die Bucht spannt und ihre an sich schon schmetternden Farben zu ihrem äußersten Fortissimo steigert: wer nicht dieses Weiß der Häuser, wenn die Strahlen prall auf sie fallen, nicht das malachitene Grün der Palmen, nicht das einzige Blau des Meeres dort im Sommer gesehen, der kennt diese Farben nur in gedämpften, vermengten, verminderten Formen. Aber diese massive Hitze hat ihre natürlichen Linderungen. Jede paar Stunden springt vom Meere her mit ganz unbrasilianischer Pünktlichkeit eine Brise auf, die erfrischt, und muß man nicht in die innere Stadt, wo diese wohltätige Zugluft nicht zukann, so ist es eine Lust, an dem Strand – freilich nicht zu hastig – dahinzuschlendern. Schwerer erträglich sind die Nächte, wenn diese Brise stockt und man die Feuchte, die Dicke, die Überfülltheit der Atmosphäre so dicht an die Haut drängen fühlt, daß sie mit allen Poren sich öffnet. Aber im allgemeinen dauern diese drückenden Tage nicht lang, und es macht ein Gewitter ihnen ein jähes Ende, ein Tropengewitter von jener Gewalt, die mir die Schilderungen Joseph Conrads glaubhaft illustriert hat. Das ist nicht Regen, der dann niederprasselt, das ist der ganze Himmel, der wie ein umgeworfenes Faß mit einem Male niederstürzt. Das sind keine Blitze, die wie bei uns als blaue Adern am Himmel aufspringen – das sind weiße Schüsse, und der Donner, der ihnen nachfällt, schüttert die Häuser. Eine Viertelstunde, und die Straßen sind meterhoch überschwemmt, aller Verkehr stockt, kein Mensch wagt sich auf die Straße. Und wieder eine Viertelstunde, und der Himmel schimmert unschuldig im früheren Blau, als ob er von seinem Wutanfall nichts wüßte, das Licht glänzt scharf und klar durch die gefilterte Luft, und man atmet erstaunt und entlastet, wie nach einer Explosion, der man durch ein Wunder entkommen. Und dann wieder Tag um Tag
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