Brasilien
ein mächtiger gehämmerter Kupferkessel, die aus Afghanistan stammen mußten, aber alles stand dichter zusammengedrängt, ohne das verschwenderische, freie Umfeld, das die Schönheit der Objekte durch Vereinzelung so atemberaubend gemacht hatte. Jetzt standen sie beisammen wie im hektischen Gedränge einer Party, zu der zu viele Gäste erschienen waren. Der lange Flur, durch den sie sich und ihre Bücher allabendlich in ihr Zimmer geschleppt hatte, war verschwunden, und die Fenster des Wohnzimmers blickten nicht mehr auf den Paranoá-See, sondern, weit weniger spektakulär, auf den Bahnhof. Vielleicht hatte die Karriere ihres Vaters, die in den Tagen des Präsidenten Kubitschek so grenzenlos in ihren Möglichkeiten erschienen war, unter der Sukzession der Generäle ihren Scheitelpunkt überschritten, um in zusehends bedeutungsloseren Botschafterposten und in Verwaltungsämtern zu versanden, die nicht nur mit dem Hinterland zu tun hatten, sondern auch dessen Vernachlässigung spiegelten.
Salomão Leme betrat den Raum. Er war alt geworden, aber an seinen winzigen, schmalen Füßen schimmerten immer noch die gewohnten Lacklederhausschuhe. Er hatte eine Hausjacke mit kastanienbraunen Aufschlägen angelegt, um sie zu empfangen, dazu eine Nadelstreifenhose mit rasiermesserscharfer Bügelfalte. Das schüttere Haar auf seinem Schädel hatte sich zu einem bloßen Schleier aus Flaum über der breiten, leicht gewellten Glatze verflüchtigt, und sein unsteter Blick war schwerer geworden, zog die mürbe, farblose, von Nerven durchschossene Haut rund um die Augen deutlicher nach unten als zuvor.
Bildete sie es sich nur ein, oder zuckte, unter einem dieser grauen Augen, tatsächlich ein kleiner Muskel, als er sie nach acht Jahren zum erstenmal wiedersah? Wenn es so war, so scheuchte sein beherrschter Blick die Spur der Überraschung schnell beiseite, und seine Lacklederschuhe glitten ohne Zögern über den Schafwollteppich, und seine Lippen, die erst über die eine, dann über die andere Wange streiften, fühlten sich kühl an. «Mein schönes Kind», sagte er und faßte sie leicht an den Schultern, um ihr trotzig zurückgeworfenes Gesicht besser betrachten zu können.
«Vater, das ist mein Ehemann oder Verlobter oder was auch immer, Tristão Raposo.» Allein das Wiedersehen mit ihrem Vater genügte, damit sie sich schwindlig fühlte, wie ein kleines Mädchen, seiner Nachsicht gewiß.
«Hoch erfreut», sagte ihr Vater und schlug mit seiner dicklicheren Hand in die sehnige, weißhäutige Hand des jüngeren Mannes ein.
«Ganz meinerseits», sagte Tristão, ohne mit der geringsten Spur einer Erwiderung auf das tastende Lächeln zu reagieren, mit dem der Altere, rührend für Isabel, seine kleinen, runden Zähne entblößte, die vom Alter gelb geworden und noch kleiner waren, als sie sie in Erinnerung hatte. Isabel spürte Schmetterlinge im Bauch beim Anblick dieser beiden Männer, die einander taxierten.
«Nach Ihrem Akzent zu schließen, sind Sie ein Carioca», sagte ihr Vater zu Tristão.
«Von Geburt und Geblüt. Meine Familie wohnte an den Hängen des Morro do Babilônia. Das Haus war nichts Besonderes, aber wir konnten uns eines prächtigen Meerblicks erfreuen.»
«Ich selbst kenne Rio kaum noch», sagte der Diplomat, «während mein Bruder sowenig von dort fortzubringen ist wie ein Einsiedlerkrebs aus seiner Muschelschale. Mein Leben in Rio hat praktisch an dem Tag geendet, an dem der Regierungssitz nach Brasília verlegt wurde.»
«Was eine Großtat war, die unserer Nation zum Ruhm gereicht», sagte Tristão, der mit einer gewissen Steifheit die subtilen Winke des Älteren ignorierte, die ihm bedeuten sollten, daß er auf jedem der vorhandenen, mit Kissen belegten Sessel Platz nehmen könne.
«Und doch bleibt mir so mancher Zweifel», sagte Salomão, während er sich in die weitgeöffneten Arme eines samtbezogenen Sessels sinken ließ, der, wie Isabel wußte, nur sein zweitliebster war. Seine liebste Sitzgelegenheit war ein plüschiger, tiefroter, an den Lehnen und auf der Sitzfläche zu einem Lachsrot abgewetzter Ohrensessel, auf dem sich jetzt, mit zu offensichtlicher Vorsicht, Tristão niederließ. Isabel setzte sich zwischen die beiden, auf das lange, weiße Sofa, wodurch ihre Knie genau in die Höhe des Beistelltisches mit dem intarsierten Schachbrettmuster kamen. Eine schlanke Vase, ein leerer Aschenbecher und ein kristallener Briefbeschwerer, die darauf standen, ließen an ein Endspiel denken. «Der Umzug nach
Weitere Kostenlose Bücher