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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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hinzu, als sie an die Guaicurus dachte, die zwei ihrer Kinder geraubt hatten. Sie fühlte sich jetzt wieder in den Anfangsstadien einer Schwangerschaft, womöglich von dem promisk religiösen pardovasco.
    «Ja, meine Liebe, ohne Zweifel», wischte der geschliffene Politiker den töchterlichen Beitrag beiseite. Er wandte sich an Tristão: «Und was hat Sie so weit hinausgetrieben? Darf ich Sie nach Ihrer beruflichen Tätigkeit fragen?»
    «Man könnte mich als fahrenden Ritter bezeichnen», entbot Tristão, nach einer Pause, ohne zu lächeln. «Es hat mich auf eine ganze Reihe von Tätigkeitsfeldern verschlagen – Berg- und Bootsbau, Autoindustrie, Einzelhandel und kürzlich sogar die Musik- und Unterhaltungsindustrie, wo ich eine Funktion auf der Entscheidungsebene innehatte. Ich selbst bin nicht musikalisch oder im eigentlichen Sinne kreativ. Ich habe immer von meinem gesunden Menschenverstand gelebt, gepaart mit einer Portion kühler Skrupellosigkeit.»
    «Tristão!» protestierte Isabel, der die gewagte Offenheit ihres Geliebten einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
    «Bergbau, Autoindustrie», wiederholte ihr Vater, als wollte er den Worten mehr Gewicht verleihen. Sie klangen ihm vertraut, riefen eine Erinnerung wach, die ihn beunruhigt hätte, wäre ihm der Alkohol nicht schon zu Kopf gestiegen und wäre es nicht sein ganzes Bestreben gewesen, daß diese Begegnung und alles, was mit ihr zusammenhing, in Frieden verlief. Er war zu alt, zu müde, um sich Unannehmlichkeiten zu wünschen. Die Grenzen der Macht waren ihm vertraut, und Fanatiker hatte er in Afghanistan, in Irland schon genug gesehen. «Meine Tochter», vertraute er Tristão an, «hat eine Vorliebe für Abenteurer. An der Universität, nur wenige Schritte von diesem Raum entfernt, ließ sie sich mit einem Burschen ein, der so radikal war, daß ihn nur die Fürsprache seines wohlhabenden Vaters und die freiwillige Entrichtung einer Sondersteuer auf dessen Grundbesitz vor einer staatlichen Sanktion bewahrte. Und in Rio hat sie einmal in den Weihnachtsferien – aber es ist ihr peinlich, wenn ich das erwähne. Vielleicht liegt die Schuld auch bei mir. Sie hat ihr heißes Blut von mir geerbt. Auch ich, Senhor Raposo, bin auf meine langweilige Weise, vermummt im tristen Narrenkleid des Diplomaten und Verwalters, auf Abenteuer ausgezogen – die Trophäen meiner Reisen stehen hier überall herum. Isabels Onkel, mein Bruder, bei dem sie, wie sie Ihnen sicher erzählt hat, eine ganze Reihe von Jahren zu Gast war, ist völlig anders geartet – ein ruhiger Geschäftsmann, der sich kaum von Ipanema bis nach Leblon wagt. Sein Büro, sein Klub, seine Wohnung und die Wohnung seiner Geliebten – das ist seine tägliche Runde. Wenn ich ihn bitte, mich einmal hier zu besuchen, entgegnet er, daß er sich vor dem Fliegen fürchtet und daß die Höhenlage von Brasília sein Blut verdünnt und seinem Innenohr Probleme macht! Sein Blut verdünnt! Er ist ein altes Weib geworden. Aber trotzdem hat Donaciano, wie eine Spinne, die bewegungslos in der Mitte ihres Netzes hockt, eine Menge Verbindungen. Wenn Sie sich auf einem neuen Betätigungsfeld erproben wollen, junger Freund, und willens sind, sich mit Isabel in São Paulo niederzulassen, wo inzwischen alle ernst zu nehmenden Geschäfte unseres Landes abgewickelt werden, dann könnten er und ich vielleicht eine Stellung für Sie finden, in der Sie Ihre vielfältigen Erfahrungen nutzbar machen können. Wie ist Ihre Einstellung zu streikenden Arbeitern?»
    Tristão schielte ratsuchend zu Isabel, in deren graublauen Augen er jedoch nichts anderes als das weinselige Funkeln der Liebe fand, und antwortete: «Als ich selbst Arbeiter war, habe ich nicht gestreikt. Ich konnte nie ganz unterscheiden, wer ein Boß beim sindicato und wer Fabrikchef war. Ganz sicher wußte ich nur eins – daß mir der Rücken weh tat und ihnen nicht.»
    «Genau! Evolution statt Revolution, finden Sie nicht auch? Veränderung zum Besseren, natürlich für alle Schichten der Bevölkerung, aber in einem Tempo, das nicht die alten Fundamente unterhöhlt, nicht wahr?»
    «Ja. Die Fundamente gilt es zu erhalten.»
    «Was die Jungen ‹das System› nennen, in Anführungszeichen, so als wollte man etwas Schmutziges nur mit der Zange anfassen. Dabei ist das System nichts anderes als das Produkt von Evolution, die Summe vieler Lebenskämpfe, die alle eigennützig waren und in der Summe ihres Eigennutzes dem Ruhm dieser Nation gedient haben.» Worauf

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