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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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im Hinterland, in der kleinen Stadt mit den steilen Kopfsteinpflasterstraßen, fand Isabel eine Anstellung in einem Modegeschäft, zunächst im Hinterzimmer, wo sie nadelte und nähte, und dann, aufgrund ihres attraktiven Aussehens und ihrer wohlerzogenen Gewitztheit, vorn im Verkauf. Tristão fand Arbeit als Rausschmeißer und Türsteher in einer Diskothek, die gerade aufmachte und sich Mato Grosso Elétrico nannte. Das Ausschlaggebende an seiner Tätigkeit war nicht der Rauswurf des gelegentlichen Koksers, der eine Überdosis erwischt hatte und zu zappelig geworden war, oder eines Dealers, der seinen Geschäften zu offen nachging, sondern die Entscheidung, wen aus der drängelnden Menge, die sich allabendlich auf dem funkelnden Zement des Bürgersteigs aufreihte, er einlassen sollte. Es war wie die Zusammenstellung eines Blumenstraußes oder einer Salatplatte, deren Vielfalt Fröhlichkeit und überirdischen Karneval versprach. Ein paar knallig kostümierte Transvestiten mit Perücken waren in Ordnung, aber zu viele würden die Normalos verprellen; ein paar Vergnügungssucher mittleren Alters mit Bauchansatz waren wünschenswert, um der tanzenden Versammlung Gewicht und eine historische Perspektive zu verleihen, aber das jugendliche Element mußte klar überwiegen. Ein aufgetakeltes Mädchen mit Paillettenmini und durchsichtiger Bluse war vorzüglich, solange sein Begleiter nicht den muskelbepackten, anbiedernden, unerotischen Eindruck eines Luden machte. Damit sich drinnen ein kleines Paradies entfalten konnte, mußten Ängste und Profitgelüste draußen bleiben. Der schnelle Gewinnler, der unverhohlene Voyeur, der zu ungehobelte Aspirant auf sozialen Status mußte ausgesiebt werden. In der Reihe der begierigen Gesichter unter dem bleichenden Licht der Neonreklame, die über der Pforte des Elétrico flackerte, suchte Tristão nach denen, die reinen Herzens waren. Ein paar Habenichtse durfte er einlassen, aber nicht so viele, daß sich die besseren Verdiener nicht unter ihresgleichen gefühlt hätten und es zu Zusammenstößen und revolutionären Anwandlungen gekommen wäre, je weiter die Nacht und das Tanzfieber und der Abbau der Hemmschwellen fortschritten. Die Revolution war in den sechziger Jahren steckengeblieben. Jetzt schrieb man die Siebziger. Das Bacchanal mußte einen Anstrich von apolitischer Unschuld bewahren. Bedauerlicherweise kam es häufig vor, daß er Schwarze abweisen mußte, da sie in Mengen vor der Tür auftauchten, die ihren proportionalen Anteil an der überwiegend hellhäutigen Bevölkerung von Bunda da Fronteira weit überstiegen. Die Kundschaft, die weiß oder branquelo war, sollte sich als Teil einer multikulturellen Gesellschaft, aber nicht erdrückt fühlen. Eine Diskothek ist kein batuque, kein ritueller Tanzplatz im Kongo. Sie versucht, mit ihren psychedelischen Effekten eine Ekstase zu erschaffen, die frei ist von Sünde und Versuchung und all den besoffenen Folgen des Lasters – ein belebender Luftzug, in dem die zarten Sprossen der Paarung austreiben und wachsen können. Die Stroboskoplampen, die farbigen Laser, die schrille, verführend rhythmische Musik, der wäßrige Schaumwein, alles versucht, den Leidenschaften Mut zu machen, ihnen ein schmückendes Federkleid überzustülpen, und nicht, sie abzuschrecken. Das nächtliche Schauspiel, dessen menschliche Besetzung Tristão mit wachsendem Geschick zusammenstellte, durfte kein Drama werden, in dem sich die rücksichtslosesten Prahler und die routiniertesten Exhibitionisten an die Rampe spielten. Seine Körpergröße, seine weiße Stirn, seine gebieterischen, weit ausholenden Gesten, wenn er Wartende am Ende der Schlange erwählte, und seine noble Zurückhaltung im Lächeln, sei es bejahend oder ablehnend, machten ihn zu einer Instanz, gegen die es keine Berufung gab, und zu einer kleinen Berühmtheit im Nachtleben von Bunda da Fronteira. Seine Chefs, die Gangster und Mestizen und so pockennarbig waren, daß sie lieber im Hintergrund blieben, wußten seine Arbeit an der Tür zu schätzen und boten ihm eine Gehaltserhöhung und Gewinnbeteiligung an, als er nach fünf Monaten seinen festen Entschluß verkündete, sie zu verlassen.
    Er und Isabel hatten nun genug an Geld, an Kleidern und an städtischen Erfahrungen gesammelt, um sich, nicht per Bus, sondern per DC 7, auf den Weg nach Brasília zu machen.
    Es war ein Flug von weniger als einer Stunde. Ihre Wanderung vom Rand des Dschungels in die Städte hatte sie den größeren Teil

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