Brasilien
er zu einer langen Erzählung von sich selbst als jungem Mann ansetzte, als seine Frau – Gott schenke ihrer atemberaubend schönen Seele Frieden – noch am Leben und Isabel ein Säugling war, und wie sie nach Brasília kamen, als Brasília noch eine Wildnis war, ein alter Traum, geträumt von einer Handvoll Unbeirrter …
Isabel ließ ihre Aufmerksamkeit schweifen; sie hatte diese oder ähnliche Geschichten schon oft gehört. Den Stiel des Weinglases wie einen silbrigen Zauberstab in der einen Hand und in der anderen den luftigen Zauberstab einer Zigarette, der Geister und Gefühle beschwor, stand sie auf und schlenderte zu den Fenstern und blickte auf die kubischen Silhouetten von Brasília hinaus, die auf dem Samt der inzwischen hereingebrochenen Nacht leuchteten. Die flimmernden Quader und Würfel, die Pfeile der Schnellstraßen, die parabolischen Mahnmale einer nationalen Geschichte aus Kämpfen und Zwistigkeiten, all das kam ihr wie eine Projektion ihrer Innenwelt vor, eine Frucht ihrer Fähigkeit, zu erkennen und zu lieben, was selbst eine Form von Erkenntnis war. Diese beiden Männer in ihrem Rücken liebten sie, und als sie hörte, daß die Erzählung ihres Vaters endlich die Pointe erreichte und Tristão das gebührende Lachen ausstieß, drehte sie sich triumphierend um, mit all den flatternden Schmetterlingen in ihrem Bauch, um sich dem Doppelschwall ihrer Anbetung zu stellen.
Aber die beiden ignorierten sie, schlossen sie aus. Tristão hatte in höflicher Erwiderung begonnen, eine eigene Geschichte zu erzählen, die von seinen Schwierigkeiten handelte, als Türsteher im Mato Grosso Elétrico zwischen Frauen und Transvestiten zu unterscheiden, und von seiner Angst, daß er versehentlich alle wirklichen Frauen ausschließen könnte, weil sie nicht so weiblich aussahen wie die aufgetakelten Männer im Fummel. Und dann war auch noch ein Transvestitenzwerg aufgetaucht und mit ihm die politische Frage, wie viele Zwerge er pro Nacht einlassen sollte, oder vielmehr, wie vielen Zwergen man die Tür weisen konnte, da doch einerseits die Kleinwüchsigen von Bunda da Fronteira eine der heikelsten und lautstärksten Minderheiten in der Gemeinde stellten und sich andererseits die Diskothekengänger von normaler Körpergröße darüber beschwerten, daß sie beim Tanzen dauernd über sie stolperten.
Ihr Lachen und ihr Gerede, Männerlachen und Männergerede, polterte fort und fort, während sie spielerisch ihre Kräfte maßen. Der wunderliche Diener brachte Isabel ein zweites Glas Wein, ihrem Vater einen zweiten Gimlet, Tristão eine zweite vitamina. Der Wein begann auf ihre Blase zu drücken; die Lichter der Stadt und die wehmütigen Erinnerungen, die Brasília in ihr weckte, und das seltsame Gefühl, ihren Vater und ihren Geliebten in lautem Gelächter vereint zu hören, drückten von innen gegen ihre Augen, drückten Tränen heraus. Sie ging quer durch das Wohnzimmer, erhaschte einen Blick auf sich selbst in einem Spiegel, der so hoch und schlank war wie die Seitenfassaden der beiden Türme, die den Congresso Nacional beherbergten. Sie hielt sich kerzengerade in ihrem weiten Kleid, mit ihrem schlanken Hals, als balanciere sie einen Krug auf dem Kopf. Die schimmernde Seide schien die Farben, die sie im Licht zeigte, in ihren schattigen Falten umzukehren. Isabel stellte befriedigt fest, daß sie, mit fast dreißig Jahren, hinreißend aussah.
Die beiden Männer waren sich ihrer Gegenwart, waren sich des Magneten, der sie zusammengeführt hatte, bewußt. Sobald sie im Badezimmer und außer Hörweite war, sagte Tristão mit leiser, bedächtiger Stimme zu Salomão: «Ich habe mich als einen zielstrebigen Mann beschrieben. Ich kann Ihnen versichern, daß diese Zielstrebigkeit ganz dem Glück und Wohlergehen Ihrer Tochter gewidmet ist.»
Der ältere und kleinere der beiden Männer blinzelte und quittierte die Beteuerung mit einem dankbaren Nicken. «Wie Sie schon von mir gehört haben, hat sie bei der Auswahl ihrer männlichen Begleiter früher einen seltsamen Geschmack bewiesen. Wie so viele warmherzige junge Frauen, die wohlbehütet aufgewachsen sind, fehlt ihr jedes Verständnis für praktische Grenzen, für die Tragfähigkeit des Brasilianischen Fundaments.»
«Vielleicht ist sie inzwischen klüger geworden, als es die Studienanfängerin von damals war. Sagen Sie mir doch, wenn ich die Frage stellen darf –»
«Nur zu, mein Freund», ermutigte der Gastgeber, als Tristão zögerte.
«Bemerken Sie – wie soll
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