Brasilien
dich hoch erhobenen Hauptes zum Narren gemacht hast. Zum Glück für uns war sie genauso närrisch wie du. Ein kleiner Brief an ihren Vater kann uns Millionen bringen. Zig Millionen.»
«Wenn ihr Vater und ich uns begegnen, wird es ein Treffen zweier Herren sein, nicht eines Diebes und seines Opfers, nicht eines Bettlers und eines Fürsten.»
«Tristão, du hast schon immer zuviel geträumt. Du hast immer an Geister und Märchen geglaubt. Du hältst dein Leben für eine Legende, die in einer anderen Welt erzählt wird. Du glaubst, über dir schweben die Engel der Geschichte, die ihre Schreibfedern in flüssiges Gold tauchen. In Wahrheit gibt es nichts als Dreck und Hunger und endlich den Tod. Gib deiner Familie wenigstens vom Inhalt dieser Taschen etwas ab!»
«In diesen Taschen sind nur die Kleider meiner Frau. Isabel ist jetzt meine Familie. Unsere Mutter schimpft uns Bastardpack und hätte uns in ihrem Schoß getötet, wenn sie nur gewußt hätte, wie. Dich hab ich Bruder genannt, wir waren Partner im Diebstahl, aber jetzt, wo ich selbst einen Schatz mein eigen nenne, jetzt willst du mich berauben.»
«Ich will nur, daß du redlich teilst, du alberner Hodensack. Mach deine Mutter reich, damit sie ihre Fotze zusperren kann.»
«Reichtümer helfen da nicht weiter, du Häufchen Rattenscheiße. Du schielender, schleimiger Krötenküsser. Unsere Mutter ist eine Hure. Huren ist alles, was sie kann, Huren ist ihre Form von Glück.» Er spürte, daß Euclides wütend genug war, um jeden Augenblick auf ihn loszugehen, und so wagte er nur einen sekundenkurzen Seitenblick zu seiner Mutter, um zu sehen, ob er sie verletzt hatte.
«Bring ihn um», sagte ihre schwebende, pinga beduselte, allgegenwärtige Stimme zur Luft im Raum. «Bringt euch gegenseitig um und schafft die Fehltritte eines armen Niggerweibs aus der Welt.»
«Wer sind wir?» fragte der Mann an ihrer Seite, der in diesem Augenblick erwachte und durch das Dröhnen seines Brummschädels hindurch an die Decke starrte. Wahrscheinlich hatte er etwas anderes fragen wollen.
«Ich rieche, daß ein Fremdling im Haus ist», ließ sich das Mütterchen in altertümlichem Portugiesisch vernehmen, in dem noch das Bahia der Kolonialzeit mit all seinen Galanterien und Grausamkeiten zu hören war.
«Sieben Köpfe und noch sechs Fladen», sagte das Mädchen am Herd.
«Kannst meinen haben», sagte Ursula zu Isabel. «Meine Zähne sind nur noch zum Trinken gut.»
«Oh!» rief Isabel überrascht. Die Höflichkeit gebot, daß sie ablehnte, aber ihr Hunger trug den Sieg davon. «Wie lieb von dir. Ich sage nicht nein. Danke, Ursula, ich danke dir von Herzen.» Sie brauchte nicht lange, um den angu -Fladen, heiß vom Ölfaßdeckel, wie er war, zu verschlingen. Wann jemals hatte ihr etwas Eßbares so gut geschmeckt, war so schlagartig eins geworden mit ihrem Innersten, mit der Hitze in ihren Nerven und Adern? Sie schlängelte sich ein paar Schritte vorwärts und öffnete den Reißverschluß an der dickeren der beiden Reisetaschen unter Tristãos Arm. «Als Gegengabe und zum Dank für deine Gastfreundschaft möchte ich dir etwas schenken.» Sie hatte blitzschnell überlegt, was sie Ursula geben würde: einen der Kerzenleuchter aus Kristallglas. Der andere sollte in ihrem Besitz bleiben, als Sicherheit, als Pfand. Als sie Ursula den Leuchter mit seinem kunstvollen Feinschliff entgegenstreckte, brach sich ein Sonnenstrahl, der durch eine Lücke in der Wand drang, in den zahllosen Facetten und ließ einen Regenbogenschauer durch den Raum stieben wie leuchtende Libellen, die jeder Bewegung ihres Handgelenks und jedem Zittern ihrer Finger folgten. «Ich glaube, er stammt aus Schweden, aus der Heimat von Schnee und Eis. Bitte nimm mein Geschenk an, Mutter, und erlaube mir, dich so zu nennen. Du bist zwar nicht meine Mutter, aber du bist die Mutter des Menschen, der mir am liebsten ist auf der Welt und dessen Leben von meinem nicht mehr zu trennen ist.»
Die Frau, die in ihrem Rausch aufs Bett zurückgesunken war, zögerte; ihre stumpfen Augen schmerzten angesichts der Leuchtkraft des Geschenks. «Nichts wert», sagte sie schließlich. «Wenn wir’s verhökern, haben wir die Bullen auf dem Hals, und alle landen im Kittchen. Dieses Fräulein will die Mama seines Liebsten umbringen.»
«Bring’s in den Laden von Apollonio de Todi in Ipanema», sagte Isabel. «Er wird dich nicht betrügen, und man kann den Leuchter wieder auslösen. Du mußt den Namen ‹Leme› erwähnen.»
«Na,
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