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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Bastardpack hat kein Recht, einfach irgendwen zu lieben.»
    «Er ist schön», schwärmte Isabel der Frau über deren eigenen Sohn vor. «Ich fühle mich nicht vollständig, wenn ich nicht bei ihm bin. Ich kann nichts essen, ich kann nicht schlafen. Heute nacht hab ich geschlafen wie ein Baby.» Mehr noch als das, dachte sie im stillen: wie ein Baby im Mutterleib. «Ich liebe dich, Ursula», wagte sie zu sagen, «ich liebe dich, weil du einen Jungen – einen Mann – auf die Welt gebracht hast, der so schön ist.» Sie war entschlossen, dieses schlammbraune Gesicht aus seiner verstockten Feindseligkeit zu erlösen und für das Wunder der Liebe empfänglich zu machen, die sie und Tristão verband.
    «Porra!» fluchte die Frau vernehmlich, wenn auch mit einem Grinsen. Wie um dieses Grinsen und die jammervoll entblößten Zahnlücken zu verbergen, steckte sie sich die namenlose Flasche zwischen die Lippen, die in dem Durcheinander neben ihrem Strohsack lag. Als sie die Augen wieder schloß, kehrte Schönheit in ihr Gesicht zurück, die gleiche Schönheit einer verfinsterten Sonne, die auch Tristão hatte. Obwohl Ursulas Körper fett geworden war, eine alles verschlingende Masse, hatte sie immer noch einen schmalen und zierlichen Kopf unter ihrem Nest aus sich aufdröselnden Strähnen. In ihrem Gesicht zeugte ein zufälliges Narbenmuster – nicht symmetrisch und bedeutsam wie bei Maria – von vergangenen Mißhandlungen und Wunden.
    Tristão hatte sich während dieser Konfrontation zwischen Ursula und Isabel hinter dem unbehauenen Holzpfeiler verborgen gehalten, der das Dach aus Zinkblechplatten stützte und die Hütte in angedeutete Kammern unterteilte. Jetzt kam er hervor: «Wir werden nicht hierbleiben, Mutter. Es ist einfach zu ekelhaft.»
    Vielleicht von der hallenden Männerstimme aufgestört, rollte der kleine schlafende Mann auf den Rücken, so daß sein offener, von Speichelfäden überzogener Mund sichtbar wurde. Mit ihrem freien Arm packte Ursula seinen Kopf und drückte ihn wieder an ihre Brust, wo er mit einem schlürfenden Geräusch weiterschlief. «Ekelhaft ist es, wenn Bastardpack die Nase zu hoch trägt. Was glaubst du, wieviel werden ihre reichen Verwandten springen lassen, um sie wieder zurückzubekommen?»
    «Bestimmt nicht wenig», sagte Euclides, der sich mit dem Mädchen an der Feuerstelle unterhalten hatte. Er wandte sich an Isabel: «Wo steckt deine Freundin Eudóxia? Wir hatten ein schönes, langes Streitgespräch, während wir bis zum Morro do Leme und zurück am Strand entlang spaziert sind, über katholischen Kommunalismus versus Marxismus. Wir waren uns schließlich einig, daß beide völlig weltfremd sind.»
    «Ihre Familie hat sie in die Berge mitgenommen», informierte ihn Isabel. «Sie ist ein typisches Mädchen aus der Bourgeoisie, eine große Maulheldin ohne den Mut zum Leben.»
    Euclides blinzelte und sagte: «Zuviel Mut ist Liebe zum Tod.»
    «Wir lieben einander», fuhr Tristão, an seine Mutter gewandt, fort. «Mein Plan ist, den Zug nach São Paulo zu nehmen und mir Arbeit in der Autofabrik zu suchen, mit Hilfe meines Bruders Chiquinho, der schon dort ist. Ich muß wissen, wo ich ihn finden kann, Mutter.»
    Es war das erste Mal, daß Isabel von einem dritten Bruder hörte. Die Mutter all dieser Brüder wirkte ratlos, dann verengte sie die Augen zu Schlitzen, die ihr einen listigen Ausdruck geben sollten. «Ein Bastardpack wie alle», sagte sie. «Schickt keinen Pfennig heim und ist längst reich dabei, wo er doch diese fuscas baut, die alle fahren. Wenn mir der Medizinmann das richtige Gebräu angerührt hätte, dann müßte Mutter Erde keinen von euch Bastardpack mehr nähren.»
    Das Mädchen, das an der Kochstelle mit Blechdosen hantierte, fiel ihr ins Wort. «Müssen wir ihr was abgeben? Der Teig hat nur für acht Fladen gereicht.»
    «Gib ihr meinen», sagte Tristão.
    «Nein, du brauchst deine Kraft», sagte Isabel, obwohl ihr vor Hunger fast schwindlig wurde. Diese Leichtigkeit im Kopf, dieser dauernde Speichelfluß – lebten die Armen ständig mit diesen Empfindungen? Sie zählte die Menschen in der Hütte und kam auf sechs Personen, den schlafenden kleinen Mann mit eingeschlossen.
    Tristão sah ihre suchenden Blicke und las ihre Gedanken. «Da gibt’s noch das Mütterchen», erklärte er.
    Aus einem Gewirr von Decken, Beuteln und Schattenflecken im Hintergrund der Hütte hatte sich ein liebreich lächelndes Etwas aus dunklen Lumpen und Gebein erhoben: Eine uralte,

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