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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Nacht, umkreisten sammelnd und erkundend das Gelände und zündeten ihr Feuer an, das unter den ersten Sternen aufflackerte wie ein schwächliches Kind der Sonne, die versunken war.
    Isabel fühlte sich sicher und geborgen in dieser täglichen Routine, aber Kupehaki entdeckte immer frischere Spuren von Siedlern in der Savanne. In einem flachen Tal, in das sie sich nicht hineinwagten, sahen sie eine Herde nicht von Pampahirschen, sondern von Pferden – den mächtigen, wildblickenden und sklavischen Nutztieren, die erst die Invasoren aus Europa auf diesen Kontinent gebracht hatten.
    «Guaicuru», sagte die alte Tupi-Indianerin, aber sie ließ sich nicht entlocken, was dieses Wort bedeutete. Statt dessen rollte Kupehaki mit den Augen und zeigte ihre Zähne, die man ihr spitzgefeilt hatte, als sie ein Mädchen gewesen war. Ihre plötzliche Nervosität übertrug sich auf die Kinder, deren Schreie und Beschwerden und unerfüllbare Wünsche wiederum die übermüdeten Erwachsenen reizten.
    Sie kamen an das Ufer eines lehmigen Flusses, der zu breit war und eine zu starke Strömung führte, um hindurchzuwaten. Ein paar verrottende Balken im Wasser, X-förmig überkreuzt, um Laufplanken zu tragen, erinnerten an eine primitive Indianerbrücke, die weggerissen worden war. Morgen würden sie sich ein Floß bauen, aus Balsastämmen, zusammengebunden mit Lianen. Der Fluß hatte die Uferböschung zu sandigen Terrassen abgetragen, auf deren oberster, nahe einem Dickicht aus Uauaçu- Palmen, das mit den höheren, schlanken Carandá- Palmen durchsetzt war, sie ihr Lager aufschlugen.

19. Der Überfall
    Das lebhafte Plätschern und Glucksen der Wellen am Flußufer und die heiseren Schreie der Frösche, die dort lebten, ließen Isabel nur einen leichten Schlaf finden. So war es wie ein Ausfluß wirrer Träume, daß sich plötzlich große, nackte Männer, bemalt wie Spielkarten, im gemischten Dämmerlicht aus Mondschein und dem Glutrest ihres Lagerfeuers materialisierten. Die Sprache, in der sie sich verständigten, klang rauh und hastig, aber nicht laut, selbst als der Überfall seinen raschen Höhepunkt erreichte. Sie mußten das Lager ausspioniert haben, denn ihre Handlungen waren genau abgestimmt. Zwei der Schatten stürzten sich auf Kupehaki und zerrten die alte Frau hoch. Der eine hielt sie an den Armen fest, der andere griff in ihre Haare und riß, während die andere Hand mit der weißen Sichel eines scharfzähnigen Kieferknochens an ihrer Kehle sägte, den Kopf hin und her, bis er sich vom Rumpf löste. Eine Feder, ein schwarzer Federbusch aus Blut stieg auf, als der kopflose Körper auf den Sandboden zurückfiel. Aus Isabels Brust löste sich ein ungläubiger Schrei, der in ihrer Kehle steckenblieb. Der abgetrennte Kopf, so schien es ihr damals und in jedem Alptraum ihres späteren Lebens, starrte sie aus der tödlichen Ruhe halbgesenkter Augenlider an, als wollte Kupehaki sagen, daß sie alles Menschenmögliche getan habe und auf ein Ab schiedswort ihrer Herrin warte.
    Zwei weitere, große Schatten packten die Kinder, die noch zusammengerollt und schlafend in den Kokons ihrer Moskitonetze steckten, und verschwanden mit einem leisen Schnattern ihrer Zungen im Dickicht des Palmenwäldchens. Azor versuchte zu schreien, aber der Schrei wurde sofort von einer auf den Mund gelegten Hand erstickt. Ein anderer Schatten hatte Kupehakis langen Weidenkorb ausgekippt und durchwühlte den im Sand neben dem kopflosen Rumpf verstreuten Inhalt nach Kostbarkeiten.
    Tristão hatte sich hochgerappelt, was den Indianer, der auf ihn und Isabel angesetzt war, mit seinem Angriff zögern ließ. Der Luftzug der hastigen Bewegungen hatte das fast erloschene Feuer aufflackern lassen, und im Widerschein der Flammen starrten sie einander an. Bis auf ein spitz zulaufendes Penisfutteral und Ketten aus Muscheln und Zähnen rund um die Fuß- und Handgelenke war der Indianer nackt. Sein durch Auszupfen enthaartes Gesicht, dessen wimpernlose Augen rot und wund wirkten, war mit einem feinen Spitzenmuster in Rot und Blau bedeckt, und aus der durchbohrten Unterlippe ragten drei Knochenstücke wie schmale, weiße Fangzähne. Seine Haare waren kurz und mit einer wachsartigen Masse gehärtet. Als er den Mund aufsperrte, wurden krumme, schwärzliche Zähne sichtbar. Er sperrte den Mund auf, weil er einen dunkleren Mann und eine hellere Frau vor Augen hatte, als ihm jemals in seinem Leben begegnet waren, und weil dieser Anblick geheiligt und furchtbar für ihn war. Er

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