Brasilien
feuchten Augen, die sie ihr wie Kelche entgegengereckt hatten, die darauf warteten, gefüllt zu werden. Selbst als Hunger und Erschöpfung ihren schutzlosen, schwachen Körpern zusetzten, hatten sie nie an ihr gezweifelt.
«Wir haben nicht die Kraft», sagte er, «und nicht die Möglichkeiten, sie uns zurückzuholen. Selbst wenn es uns gelänge – wie könnten wir sie vor den Gefahren dieser Wildnis schützen? Glaub mir, liebste Isabel, es ist für sie wahrscheinlich besser, wenn sie bei denen bleiben, die wissen, wie man hier lebt. Wenn diese Wilden ihnen ans Leben gewollt hätten, dann hätten sie sie gleich erschlagen.»
In Isabel brach sich hilflose Empörung Bahn. Er wirkte so gefaßt, fand so kalte, vernünftige Worte für ihre verzweifelte Lage. «Was hält uns eigentlich noch am Leben?» fragte sie ihn. «Was kümmert es die Welt» – sie holte weit aus, um mit ihrer Geste mehr als nur den Mato Grosso zu umfassen –, «ob wir jetzt oder später sterben? Was hat es für einen Sinn, auch nur noch einen Tag weiterzukämpfen, Tristão?»
Er schaute sie an wie damals, als er noch ein kleiner Stranddieb gewesen war und keine Falten im Gesicht hatte, mit schräg geneigtem Kopf und halbgeschlossenen Augen und großer Vorsicht. «Allein die Frage ist schon eine Sünde», sagte er. «Wir haben keine andere Pflicht als die, zu leben.»
«Keiner ist hier», schrie sie, und diesmal schloß ihre Geste auch den Himmel ein, «der sich nur einen Deut darum schert, was unsere Pflicht ist! Da ist kein Gott, da ist nur Zufall, der unser Leben regiert. Wir werden unter den scheußlichsten Schmerzen geboren, und nichts als Schmerz und Angst und Lust und Hunger treibt uns weiter durch ein Leben ohne jeden Sinn!»
Er blickte sehr ernst und sprach sehr leise, als wolle er ihren Aufschrei vor dem schockierten Schweigen ringsum ungeschehen machen. «Du enttäuschst mich, Isabel», sagte er. «Warum ist die Welt so reich erschaffen, wenn es in ihr keinen Sinn gibt? Denk an die Feinheit, die noch im kleinsten Käfer oder Kraut steckt. Du sagst, daß du mich liebst. Wenn es so ist, dann mußt du auch das Leben lieben. Es ist ein Geschenk, für das wir etwas wiedergeben müssen. Ich glaube an die Geister» – er beschwor sie – «und an die Bestimmung. Du warst meine Bestimmung, und ich war die deine. Wenn wir jetzt sterben, ohne zu kämpfen, werden wir nie erfahren, was das Schicksal für uns aufgehoben hat. Vielleicht gehört es zu unserem Schicksal, daß wir deine Kinder retten, vielleicht auch nicht. Ich weiß nur eins, Isabel: Wir haben uns nicht gefunden, um den hungrigen Rachen dieser Welt mit Kindern zu füttern, sondern um ein Beispiel der Liebe zu geben – um der Welt die Existenz der Liebe zu beweisen. Ich habe das sogar in der fusca- Fabrik so empfunden, als es so aussah, als würde ich dich nie mehr wiedersehen.»
Und tatsächlich geschah es, daß sie, die sich seinem Urteil anschloß und die folgenden Wochen der einsamen Wanderung und schleichenden Entkräftung mit ihm durchstand, mehr Liebe in sich fühlte als je zuvor. Nie war ihre körperliche Sehnsucht, ihn zu lieben, gebieterischer gewesen, nicht einmal in dem Hotel in São Paulo. In der verzweifelten Isolation, in der sie sich befanden, war das Ficken ein Anspruch, den sie auf ihn erhob, und ein Trost, den sie ihm spendete, eine Vergewisserung, daß sie noch am Leben war, und ein Flehen um seine Nachsicht und nicht zuletzt ein perverses Triumphieren über die nachlassenden Kräfte. Weil sie so wenig Nahrung fanden, machten sie das Ficken zu ihrer Nahrung. Weil sie nicht wußten, wohin ihr Weg sie führte, machten sie ihre Körper zum Ziel, zu ihrem einzigen Zuhause. Kupehakis Erfahrung bei der Suche nach Eßbarem im Busch fehlte ihnen, und so blieb es nicht aus, daß sie giftige Beeren aßen oder giftige Wurzeln ausgruben und kochten. Fieberanfälle und Wahnvorstellungen machten ihnen fast den Garaus. Durchfälle räumten ihre Därme aus, bis sie inwendig so blank waren wie polierter Marmor. Ausgezehrt, von Übelkeit gepeinigt und vor Fieber zitternd, daß ihr die Zähne klapperten, wollte sie doch mit seiner Yamswurzel spielen und den geschwollenen Adern mit der Spitze ihrer Zunge nachspüren und den klaren, kleinen Tropfen Nektar von dem schmalen Schlitz wegküssen, ehe sie dann die Kraft seiner Stöße zwischen ihren Beinen spürte und unter ihren klammernden Händen seinen Rücken, der hart war wie ein knorriges Brett. Wenn ihre letzten Kräfte von einer
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