Brasilien
Lagerplatzes zu ihm hinrobbte, um ihn an ihre Liebe zu erinnern, ließ er mit galanter Promptheit seine Yamswurzel wachsen. Die Impotenz seiner Goldgräbertage war gebannt, aber die Potenz, die früher seiner Nähe zu ihr entsprungen war wie ein keimendes Samenkorn einer feuchten Spalte, kam jetzt aus der Ferne wie ein Donnergrollen, das keinen Regen bringt. Umgeben von dieser Wildnis, einziger Mann unter ihnen, hatte Tristão eine ungreifbare Dimension gewonnen – ein Mond, der so groß erscheint wie ein Knopf, den man sich dicht vors Auge hält.
«Tristão», fragte sie ihn eines Nachts mit leiser Stimme, «was ist, wenn wir hier draußen sterben?»
Durch seine harten Muskeln lief die Welle eines Achselzuckens. «Dann werden die Geier reinen Tisch mit uns machen, und dein Vater findet uns niemals.»
«Meinst du, daß er uns immer noch verfolgt?»
«Mehr denn je, nachdem ich seinen Handlanger getötet habe. Ich spüre, daß er uns auf den Fersen ist.»
«Es ist nicht mein Vater, der uns hetzt», sagte sie abwehrend. «Es ist das System.»
«Ach, liebe Isabel. Ich hätte niemals in dein Leben treten sollen. Du wärst inzwischen eine feiste Gattin aus Rios besten Kreisen, mit einer Wohnung an der Avenida Vieira Souto.»
Sie legte ihre Fingerspitzen über seine Lippen. «Du bist mein Schicksal. Du bist das, was ich immer gewollt habe. Ich habe dich geträumt, und du bist gekommen. Ich bin glücklich, Tristão, wirklich.»
Frühmorgens standen sie auf, warfen trockenes Holz in die Glutreste des Feuers, wärmten die Reste ihrer Mahlzeit vom Vorabend, suchten die Umgebung nach etwas Eßbarem als Marschverpflegung für den Tag ab und machten sich auf den Weg. Wenn ein Fluß oder ein nicht zu morastiger See in der Nähe war, nahmen sie ein Bad, was schnell geschehen mußte, ehe ihr Planschen Parasiten und giftige Fische anlocken konnte. Wenn sie den nackten, nassen Körper eines ihrer Kinder mit Schwung aus dem nachtkühlen Wasser zog, konnte es Isabel geschehen, daß die Kuppel des Himmels, in die ihr Blick sich hob, um eine Achse zu rotieren schien. Der Landschaft und dem überwölbenden Himmel, in dem sich gebleichte Wolken durchscheinend türmten oder zu kriechenden Massen zusammenballten, die mit ihren zugleich bleiernen und transparenten Bäuchen nach Osten zogen, hin zur fernen Küste, zum fernen zwanzigsten Jahrhundert, war eine Ruhe in der Bewegung eigen, eine sanfte Grausamkeit, eine vielstimmige Leere, eine aus schierer Weite geborene Hochmütigkeit, die sie doch gleichzeitig mit einer großen Zartheit umfing, so wie eine Eierschale das nährende Eiweiß für den keimenden Dotter umhüllt.
Ihr tagtägliches Marschpensum kam ihnen bald wie eine Tretmühle vor, die nicht mehr der Fortbewegung im Raum diente, sondern an die Zeit gekoppelt war. Ein fernes, rauchiges und würziges Aroma lag in der Luft des planalto, das Isabel wie der Geruch Brasiliens erschien, der an jenem Apriltag des Jahres 1500 zu Cabral und seinen Schiffen hinausgezogen sein mußte, ein Geruch nach Tupiküche und nach dem roten Farbholz, das anfänglich der einzige Reichtum des verborgenen Landes gewesen war. Sie fühlte sich immer mehr zu Hause, gewiegt von den regelmäßigen Rhythmen ihrer Reise – dem Erwachen aus einem umschlungenen Schlaf, gefolgt von der Entdeckung, daß sie alle auf der Suche nach Wärme immer näher ans Feuer gerutscht und nun voller Ascheflecken waren; dem Sich-Aalen im perlenden, arglosen Morgenlicht; der kreisenden Suche nach Nahrung, nach Beeren und Nüssen und wilden Ananas, nach kleinen Tieren, die man mit Stöcken und Steinen erschlagen konnte, Eidechsen und Maulwürfen und Eichhörnchen mit orangeroten Bäuchen und ebensolchen schamlosen Schwänzen – einer Suche, die nie so erfolglos war, daß sie verhungert wären und nie so erfolgreich, daß sie satt wurden und nicht Hunger wie ein Gas, das sie ständig einatmeten, ihre Köpfe benebelte; dann dem Aufbruch, untermalt von frohgemuten Lügen an die Adresse des quengelnden kleinen Azor, daß alles bald vorüber wäre; dem schwerbepackten Dahintrotten im Indianermarsch über gelbbraune Meilen zu einem Ziel am westlichen Horizont, einem fernen, dunkelgrünen Araukarienwäldchen, einer rosigen Felswand, einem Einschnitt in der bläulich-braunen Weite; und dann dem abendlichen Aufschlagen des Lagers. Unter dem glosenden, roten Auge der untergehenden Sonne – einem glühenden Kohlenstück, einer brasa – errichteten sie eine neue Heimstatt für eine
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