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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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trug eine Bambuslanze mit einer scharfen, zweifellos in Gift getunkten Spitze, aber er hielt sie eine fatale Sekunde lang zögernd im Anschlag, wie ein Fischer, der den Winkel abschätzt, in dem sein Speer die trügerische Wasseroberfläche durchschneiden muß. Isabel roch den stechenden, harzigen Geruch, der von den steifen Haaren ausging, und sie sah, daß der Indianer Vogelschwingen am Kopf trug, dort, wo seine Ohren sein sollten. In diesem Augenblick schoß ihn Tristão mit Césars Pistole nieder.
    Der Angreifer ließ seine Lanze fallen, stieß einen grunzenden Laut des Erstaunens aus und faßte sich an die Seite, als hätte ihn eine Biene gestochen. Er versuchte wegzulaufen, aber die Verwundung zog seinen Körper zusammen und machte seine Beine asymmetrisch; er beschrieb einen Kreis und stürzte schließlich nach innen, zum Feuer hin, noch immer mit den Füßen den Sand tretend. Die anderen Indianer hatten sich mit der ungenierten Feigheit der Wilden davongemacht, als sie den Schuß hörten. Für Isabel hatte er wie eine Ohrfeige geklungen, von der sie endlich ganz geweckt worden war. Wie lange stand sie schon auf ihren Füßen, um an Tristãos Seite zu sein in ihrer beider letztem Augenblick? Sie wußte es nicht. Statt dessen hatte sie der harzige Geruch an den Geigenunterricht erinnert, zu dem Onkel Donaciano sie einmal geschickt hatte. Wie bei all den anderen Stunden, die sie genommen hatte – Ballett und Handarbeit und Zeichnen –, war ihr nichts davon geblieben. Ihr einziges Talent lag in der Liebe.
    Tristão trat zu dem um sich schlagenden Körper des Indianers, richtete die Pistole auf ihn, drückte aber nicht ab. Statt dessen fischte er in seinen Shorts nach etwas, das die Rasierklinge sein mußte, und ging in die Knie und verbarg mit seinem Rücken vor Isabels Augen, was er tat. Als er sich wieder erhob, legte sich die mörderische Starre seines Blicks auf ihr Gesicht wie Tau. Noch am Leben zu sein fühlte sich seltsam an, und feucht.
    Er erklärte: «Ich muß zwei Kugeln zurückbehalten. Vielleicht für dich und mich, falls sie wiederkommen.»
    Die Vorstellung, von ihm getötet zu werden, hatte etwas Schönes und Richtiges, bei dem sich ihre Lenden zusammenkrampften. Wie eine umbrandete Klippe leuchtete die Phantasie, dann schlugen die bitteren Wellen ihrer Wirklichkeit wieder darüber zusammen. Kupehakis kopflose Leiche lag vor ihren Füßen, ein stinkendes Stück Abfall, im Todeskampf mit Exkrement besudelt. «Sie haben unsere Kinder geraubt!» heulte Isabel, wobei das «unsere» eine Lüge war.
    «Die Indianer haben Pferde», sagte Tristão zu ihr. «Hörst du nicht den Hufschlag, wie er immer leiser wird? Wir haben keine Chance, sie zu Fuß einzuholen.» Er atmete schwer. Die Bastion seiner Stirn war von Falten entstellt. Er schien sich über sie zu ärgern.
    «Ach, meine armen Kinder», sagte sie und sackte zusammen. Der sandige Boden kam ihr entgegen wie einst, in Kindertagen, ihr puderig weißes Bett, wenn sie schlafend von ihrem Vater in ihr Zimmer hinübergetragen wurde, damals, als ihre Mutter noch nicht im Kindbett gestorben und er noch nicht in ein todwundes Monstrum verwandelt worden war: Aus einem hellen, aufregenden Raum, in dem sie alle vereint gewesen waren, trug er sie hinüber, und nur für einen flackernden Moment halbwachen Dämmerns nahm sie seine starken Arme und das weiße Laken und die flauschig aufgeschlagene Decke wahr und spürte ihre Müdigkeit und das Vertrauen, mit dem sie sich aus dem tiefen Brunnen eines Traums in einen anderen verpflanzen ließ.

20. Zu zweit allein
    Als ihr Bewußtsein wiederkehrte, funkelte das Morgenlicht auf der strömenden, braunen Haut des Flusses, und Tristão saß neben ihr und starrte in das Feuer, das er wieder angefacht hatte. Sie ging in die Büsche, um ein natürliches Bedürfnis zu erledigen, und sah an umgeknickten Ästen und Vertiefungen im Sand, wo Tristão den Körper von Kupehaki weggeschleift hatte. Bald würden Ameisen und Geier jede Spur der treuen, alten Tupi ausgetilgt haben. Isabels Mund war trocken, ihr Magen leer. «Was sollen wir jetzt tun?» fragte sie Tristão.
    «Überleben, so lange wie möglich», antwortete er. «Wir müssen den Fluß überqueren. Wir müssen uns weiter nach Westen durchschlagen. Hinter uns liegt nichts als Kummer und Gefahr.»
    «Aber Azor und Cordélia …» Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie an die kleinen, nachgiebigen Glieder der Kinder dachte, an das Vertrauen in ihren großen,

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