Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Titel: Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
Vom Netzwerk:
entschuldigen.“
    „Das ist dir ganz recht geschehen. Aber das andere wäre also abgemacht.“
    Ich machte mich daran, meine Bergstiefel zu putzen, und holte meinen Eispickel hervor - ja, ich bin wirklich die stolze Besitzerin eines Eispickels! Mit dreizehn Jahren habe ich ihn von Onkel Ferdinand geschenkt bekommen. Damals wäre ich vor Einbildung fast geplatzt.
    Der Morgen war still und kühl.
    Onkel Ferdinand und ich sollten uns mit den Damen an der Seilbahn treffen. Als wir am Hotel Chamois vorbeigingen, wurde gerade ein Fenster geöffnet. „Guten Morgen, Bernadette!“
    Ich wandte den Kopf und winkte. „Guten Morgen, Corinne! Schon so früh auf?“
    „Ja, wir bekommen heute fünf neue Gäste, da habe ich noch wahnsinnig viel zu tun!“
    Ihre Stimme klang froh und glücklich. Und da erschien auch schon Tante Rachele am Fenster, legte den Arm um Corinnes Schulter und nickte mir zu.
    Mir war froh und leicht ums Herz, als wir weitergingen. Es sah aus, als hätten meine Ratschläge tatsächlich geholfen.
    Dann schwebte ich wiederum zur Cabane d’Argent hinauf. Dort seilte uns Onkel Ferdinand an.
    „Ach, du liebe Zeit!“ rief da eine der beiden Damen, „jetzt habe ich die Apfelsinen vergessen! Glauben Sie, wir könnten hier in der Hütte Apfelsinen bekommen?“
    „Ich gehe hinein und kaufe welche“, antwortete ich. „Wie viele wollen Sie haben?“
    Sie gab mir Geld, und ich ging hinein. So früh am Morgen waren bestimmt noch keine Gäste da. Es war still und ruhig.
    Aber wahrhaftig, im Gang hing ein Anorak.
    Ich mußte ein wenig über mich lächeln, denn warum in aller Welt machte mein Herz jedesmal einen kleinen Sprung, wenn ich einen blauen Anorak sah?
    Der nächste Sprung meines Herzens war schon nicht mehr klein. Denn als ich auf dem Weg zur Küchentür am Anorak vorbeiging, heftete sich mein Blick auf einen bestimmten Punkt.
    Der Anorak hing mit der Innenseite nach außen. Und dort - dort mitten auf einer der eingesetzten Taschen war ein Webfehler. Ganz deutlich ein Webfehler.
    Ich blieb stehen und schnappte nach Luft.
    Ob es tatsächlich zwei große, blaue Männeranoraks auf der Welt gab, die beide einen Webfehler genau in der Mitte der linken, eingesetzten Tasche aufwiesen?
    Ich entsann mich dieses Fehlers so gut, denn er hatte mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Ich wußte auch, daß er auf der Innenseite noch deutlicher war; dort fühlte er sich wie ein fester Knoten im Stoff an.
    Ich dachte nicht nach, was ich tat, als ich meine Hand in die linke Tasche des Anoraks gleiten ließ.
    Dort berührte sie etwas Festes, Glattes. Ich holte es hervor und sah es mir an: ein Lichtmesser in einem Lederetui.
    Meine Hand suchte weiter. Ja, da war er, ein fester, zusammengeschnurrter kleiner Knoten im Stoff.
    In diesem Augenblick wurde mir klar, wie oft und wie sehr ich im Grunde an Asbjörn Grather gedacht hatte - in diesem Augenblick, als ich mit der rechten Hand in seine Tasche fuhr und in der linken Hand den Lichtmesser hielt.
    Wenn dies nicht ein richtiges Märchen war.
    Ich hatte die Schritte hinter mir nicht gehört, aber nun schrak ich zusammen. Eine schwere Hand legte sich auf meine Schulter.
    „Hallo, kleines Fräulein, was suchen Sie hier? Spielen Sie Taschendieb in einer friedlichen Hütte? Gibt es dafür keinen lohnenderen Ort?“
    Es war Deutsch, ein ausgezeichnetes, fast akzentfreies Deutsch. Aber diese Stimme hätte ich erkannt, auch wenn sie mesopotamisch geredet hätte!
    Ich wandte mich nicht um. Ganz still blieb ich stehen, schluckte und sagte auf norwegisch: „Ich bin kein Taschendieb, Herr Grather. Ich habe nur nach einem Webfehler gesucht.“
    Dabei drehte ich mich um. Wieder kam ich mir winzig klein vor gegenüber dem Riesen, der mich fassungslos ansah.
    „Wahrhaftig!“ rief er, „das ist ja meine kleine Nähkünstlerin aus Heirevik. Oder hast du eine Zwillingsschwester?“
    Ob er wohl selber gemerkt hatte, daß er „du“ sagte? „Nein“, sagte ich. „Ich bin ich. Ich bitte um Verzeihung dafür, daß ich mit der Hand in die Tasche gefahren bin. Es war wegen des Webfehlers.“ „Jetzt erinnere ich mich - Bruland heißt du. Benny Bruland, nicht wahr? Ich habe an dich stets nur als an die reizende kleine Schneiderin gedacht.“
    Er hatte „stets“ an mich gedacht!
    Langsam kam ich wieder zu mir.
    „Ja“, sagte ich. „Aber hier heiße ich nicht so. Hier gebrauche ich meinen wirklichen Namen.“
    „Dann führst du also eine Art Doppelleben? Wie heißt du denn

Weitere Kostenlose Bücher