Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
Tante der Welt.
Selbstverständlich, es ließe sich schon machen, daß in der Kammer auf dem Speicher eine Art Notlager aufgeschlagen wurde, hatte sie gemeint. Falls Herr Grather wirklich mit etwas so Primitivem zufrieden sei?
Das war Herr Grather.
„Ich muß nur einen Tag Zeit bekommen, um alles etwas umzuräumen“, meinte Tante Cosima. „Du wirst mir dabei helfen, Bernadette, denn mit Ferdinand kann ich doch im Augenblick nicht rechnen.“
„Aber mit mir, Madame“, warf Asbjörn ein. Er sprach mit Tante Cosima ein zwar etwas unbeholfenes, jedoch verständliches Französisch. Natürlich versteht sie auch Deutsch, aber aus Rücksicht auf Grand’mere, die dabeisaß und Asbjörn mit unverhohlener Begeisterung betrachtete, redeten sie französisch. Wie so viele Südländer hatte sie eine Schwäche für jeden, der groß, blond und nordisch war.
„Wenn ich Sie so überrumpele, kann ich zumindest beim Tragen der schweren Sachen helfen“, fuhr Asbjörn fort.
„O.K!“ antwortete ich. „Dann komm mit hinauf. Du brauchst dich nicht darum zu kümmern, Tante Cosima, das schaffen wir beide allein.“
So gingen wir die Treppe zum Speicher hinauf. Asbjörn räumte schwere Kisten, ein altes Bücherregal, einen zerbrochenen Schaukelstuhl und all das andere Zeug weg, das sich im Lauf der Zeit in einer Bodenkammer ansammelt. Dann holten wir das Feldbett und stellten es auf.
„Alles übrige schaffe ich schon“, versicherte ich ihm. „Jetzt sind es nur noch die Kleinigkeiten, mit denen eine weibliche Hand am besten fertig wird.“
Als wir wieder herunterkamen, stand Grand’mere am Herd. Sie kocht leidenschaftlich gern, und niemals sieht sie so restlos glücklich aus, wie wenn sie sich in Kochbücher und Kochtöpfe versenkt.
„Was machst du, Grand’mere?“
„Pizza.“
„Himmlisch! Deine Pizza ist die beste auf der ganzen Welt!“
„Ich habe gedacht, dein norwegischer Freund würde vielleicht bei uns zu Mittag essen“, meinte Grand’mere hoffnungsvoll. „Denn oben in der Bodenkammer kann er wahrhaftig nicht kochen!“
„Grand’mere, du bist eine Heuchlerin!“ rief ich lachend. „Das sagst du nur, weil du einen neuen Bewunderer deiner Pizza suchst!“ „Das auch“, gab Grand’mere zu. Sie lächelte Asbjörn an. „Nicht wahr, Sie bleiben doch zum Essen?“
„Es ist zu liebenswürdig, Madame. Nur zu gern.“
„Weißt du was, Asbjörn?“ sagte ich. „Jetzt leihst du dir unseren Handwagen aus und holst gleich deine Siebensachen aus dem teuren Hotel. Inzwischen lege ich eine letzte Hand an deine Fürstensuite dort oben.“
„Geht bei dir alles immer so schnell?“ fragte Asbjörn und lächelte.
„Immer! Soll etwas geschehen, so muß es sofort sein.“
„Ja, so ist Bernadette“, sagte Grand’mere. „Ich sage immer.“ Sie unterbrach sich, und ich mußte lächeln. Ich wußte nämlich, womit sie beinah herausgeplatzt wäre. „Wenn du eines Tages Kinder bekommst, Bernadette, schaffst du es in zwei Monaten! Niemals bringst du die Geduld auf, neun Monate zu warten.“
Aber das hatte sie also nicht gesagt, denn Grand’mere hat ab und zu ein sehr starkes Empfinden für das, was sich schickt. Als Asbjörn mit dem Koffer, dem Rucksack, einem kleinen zusammengerollten Zelt und einem Schlafsack zurückkam, hatte ich sein Bett bereits bezogen, eine Decke auf den provisorischen Nachttisch gelegt, eine Lampe aus meinem eigenen Zimmer geholt und ein paar Nägel in die Wand geschlagen.
„Deine Sachen mußt du dort draußen in die Kommode auf dem Speicher legen“, erklärte ich ihm.
Asbjörn versicherte mir, er sei von seiner Fürstensuite begeistert. Strahlende, glückliche Tage, eine frohe Stimmung im Haus, Scherze und muntere Worte. Niemals hatte ich einen so schönen Sommer verbracht.
Mit größter Selbstverständlichkeit wurde Asbjörn wie ein Familienmitglied aufgenommen. „Wir können doch gut für noch eine Person kochen und decken“, meinte Tante Cosima. Grand’mere nickte überglücklich und nahm ihr großes französisches Kochbuch mit sich auf ihr Zimmer, als sie sich nach dem Mittagessen zurückzog.
„Eine solche Familie habe ich noch nicht erlebt!“ sagte Asbjörn zu mir.
„Ich auch nicht“, erwiderte ich lachend. Onkel Ferdinand fand es herrlich, daß noch ein Mann im Hause war. Wenn er abends heimkam und wir alle in der Küche bei Tisch saßen, war es unbeschreiblich gemütlich und lustig. Es kam vor, daß wir in vier Sprachen gleichzeitig redeten, und bevor zwei Tage
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