Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
wurde. Jedenfalls habe ich Mut, zu sprechen, und das ist schon etwas. E. weiß nicht, daß ich schreibe, so daß ich nicht von ihr grüßen kann. Wäre sie hier, hätte sie das sicher getan. Wie viele Fresken hast Du schon fertig? Schriftlich kann ich ja ,Deine Wandpinseleien’ sagen. Du kannst mich ja jetzt nicht beim Haarschopf nehmen, ätsche, bätsch! Innige Umarmung, und viele herzliche Grüße von Deiner
Britta.“
Ich las den Brief durch, und dann fiel mir noch etwas ein: Das große E. mit Punkt war ganz am Ende einer Zeile. Da konnte ich noch ein paar Buchstaben hinzufügen. Das tat ich. Und nun stand da:
„Ellen weiß nicht, daß ich schreibe.“ usw. „wäre sie hier, hätte sie das sicher.“ Stimmte das vielleicht nicht? Konnte ich nicht mein Ehrenwort geben, daß Ellen nichts von diesem Brief wußte und daß sie sicher gegrüßt hätte, wenn sie hier gewesen wäre?
Mein Gewissen war also rein wie neugewaschene Wäsche, als ich den Briefumschlag schloß und den Brief versiegelte.
„Na, Britta, liebes Mädchen, wie geht es dir denn?“
„Großartig.“
„Schau her, hier ist Post für dich.“
„Nein, wie nett, das ist von Paps!“
„Ich geh’ nur rasch um die Ecke, um Brot zu kaufen, ehe ich den Mantel ablege.“
„Sind Sie so lieb, diesen Brief in den Kasten zu werfen? Vati wartet sicher auf Post.“
„Hast du einen Brief geschrieben, Teufelsmädel? Willst du nicht erst die Karte deines Vaters lesen, vielleicht mußt du irgend etwas beantworten?“
Ach, wie dumm, ich merkte, wie die Röte mir ins Gesicht stieg, und ich konnte nicht antworten.
„Aha, du bist mir eine Feine, du hast die Karte gelesen und beantwortet und zurückgelegt, damit ich nicht wissen sollte, daß du aus dem Bett warst.“
„Ja“, flüsterte ich.
„Du solltest Haue haben, du ungehorsames Ding. Dein Glück, daß du deinen Ungehorsam wenigstens eingestehst. Eine Lüge wäre schlimmer gewesen. Komm her und gib mir den Brief. Hör mal, mögen deine Raubtiere Kalbfleisch?“
„Jawohl, und Berliner Pfannkuchen!“
„Und ich dachte, du lügst nicht! Aber Pfannkuchen bekommst du nicht. Dafür bekommen die Katzen Kalbfleisch. Der Metzger wußte sofort Bescheid, als ich ihm erzählte, daß ich Essen für zwei siamesische Katzen brauche. Er sagte etwas über die blonde Mademoiselle d’Allemagne, und dann wußte er, was ich haben wollte. Und jetzt verspricht mir die blonde Mademoiselle mit Ehrenwort, daß sie nicht auf den Fußboden hinausgeht, während ich weg bin.“
„Ehrenwort“, sagte ich, und das hielt ich.
Ich mußte noch einen Tag im Bett bleiben, und das war ein außergewöhnlich gemütlicher Tag. Ich war ein völlig neuer Mensch. Zufrieden und glücklich über alles, weil ich beinahe wieder gesund war, weil alles um mich herum hübsch und sauber war, und vor allen Dingen, weil ich die Bekanntschaft von Edda Callies gemacht hatte. Nicht etwa, weil sie eine bekannte Schriftstellerin war, sondern ein entzückender Mensch.
Ich fragte sie, als sie mit einem Strickzeug neben mir saß, ob sie selbst Kinder hätte.
„Nein, leider nicht“, sagte sie. „Ich wurde sehr früh Witwe, und meine Ehe war kinderlos.“
„Und trotzdem verstehen Sie die Jugend so gut“, sagte ich.
„Man braucht selbst keine Kinder zu haben, um die Jugend zu verstehen“, sagte sie. „Es genügt vollkommen, wenn man sich an seine eigene Jugend erinnert und an die Probleme, mit denen man sich herumschlug.“
„Hatten Sie auch Einsamkeitsprobleme?“
„Das kannst du mir glauben! Ich war ein bißchen älter, als du es bist, ich war dreiundzwanzig, und mein Mann war gerade gestorben. Die Einsamkeit der ersten Zeit werde ich nie vergessen. Es war natürlich schrecklich, über die Trauer hinwegzukommen, aber das Gefühl, ganz allein zu sein, war beinahe genauso schlimm. Es ging mir wie dir: Ich kam gar nicht dazu, irgend etwas zu tun. Mein Heim hatte sich in eine staubige Rumpelkammer verwandelt, meine Küche sah aus - “
„Wie meine?“
„Ja, so ungefähr. Wenn ich versuchte, irgendeine Arbeit anzufangen, gab ich sie gleich wieder auf. Zum Schluß war es mir eine Anstrengung, ein Paar Strümpfe zu waschen oder einen Fleck aus einem Kleid zu entfernen. Aber dann geschah etwas, was mir half.“
„Kam da plötzlich eine nette Dame und räumte für Sie auf? Genauso wie Sie für mich aufgeräumt haben?“
„Nein, im Gegenteil. Da kam jemand, der meiner Hilfe bedurfte. Eine alte Schulfreundin tauchte auf. Zum Glück hatte
Weitere Kostenlose Bücher