Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta
von dir weg, Britta“, hatte sie am Tag zuvor gesagt, „ich kenne die Verantwortung, die ich für dich habe, und das, was du mir anvertraut hast, ist mir eine schwere Last. Ich weiß, daß ich deinem Vater schreiben sollte, damit er zurückkommt. Aber auf der anderen Seite verstehe ich dich so gut, und das Opfer, das du deinem Vater gebracht hast, darf ich dir nicht zerstören. Auf eines mußt du mir dein Ehrenwort geben, Britta: daß du mir telegrafierst, wenn dir auch nur das Allerkleinste zustößt; meine Adresse hast du ja. Und wenn du mir jeden Tag eine Karte schriebst, wäre ich sehr erleichtert. Du brauchst nur zu schreiben ,alles in Ordnung’, dann bin ich beruhigt. Bekomme ich an einem Tag einmal keine Karte, fange ich an, mich zu sorgen.“
„Du sollst jeden Tag eine Karte bekommen“, sagte ich. „Nun habe ich zwei ganz feste Aufgaben als Tagesprogramm, Karte für dich und Karte für Ellen, und jeden zweiten Tag Karte für Vati! Alles für die französische Staatspost!“
Tante Edda kaufte zwanzig Postkarten und legte sie auf meinen Nachttisch.
Nun waren wir also in Paris; gleich würde ich Pierre wiedersehen und ihn Tante Edda vorstellen!
Meine Schuhe waren nicht mehr ganz so bequem; aber das gab sich sicher, wenn sie sich etwas ausgeweitet hatten. Je mehr wir uns dem Eingang zu den Tuilerien näherten, desto mehr vergaß ich, daß meine Füße wehtaten.
Da waren meine Esel! Dort fuhr der Wagen, aber was in aller Welt war das? Was bedeutete es? Der Mann, der den mir so wohlbekannten kleinen Wagen führte, sah ganz anders aus als Pierre. Alt, dick, mit einem Bart.
„Ach, Tante Edda, er ist nicht da!“
Wir blieben stehen und schauten von weitem zu. Da kamen sie schon zurück. Die Kinder wurden aus dem Wagen gehoben, eine neue Besatzung stieg ein. Dann trabten sie wieder davon.
Kein Pierre! Aber Bijou stand angebunden da. Ich mußte schnell zu ihr hin, um sie zu streicheln. Jetzt wendete der Wagen dort unten bei dem üblichen Baum. Vielleicht war es besser zu verschwinden; ich wollte nicht noch einmal in den Verdacht kommen, ich hätte den Eseln Zucker gegeben!
„Ach, wie schade, Britta“, sagte Tante Edda, „ich hätte so gern deinen Studenten getroffen, schade, daß er nicht deine Adresse hat.“
„Und ich habe auch nicht seine.“
„Was wollen wir jetzt machen? Vielleicht die Tauben füttern?“
„Ich weiß nicht, es ist vielleicht ein bißchen schade um mein Kostüm. Sonst ist es das lustigste, das ich mir vorstellen kann.“
„Na, hör mal, Britta, wir tun etwas, wozu man zu zweit sein muß. Kirchen kannst du allein anschauen, Museen auch, ausgehen und allein essen macht keinen Spaß, das wollen wir heute zusammen tun. Ich lade dich ein. Aber was muß man sonst zu zweit machen? Oh, ich weiß! Wollen wir in den Zoologischen Garten in Vincennes fahren? Ich lade dich auch dorthin ein.“
„Großartig, Tante Edda, es ist bloß.“
„Nanu, was steht dem denn im Wege? Bist du noch müde und schlapp?“
„Nein, ich bin so frisch wie ein Fisch. Nein, es fehlt gar nichts, Tante Edda, ich will wirklich schrecklich gern nach Vincennes.“
„Ein bißchen miesepiepig, weil du Pierre nicht getroffen hast?“ „Ja, enttäuscht bin ich schon, aber weißt du, wenn du morgen abgereist bist, gehe ich wieder in die Tuilerien und frage den alten Mann nach Pierre.“
„Traust du dich das auf französisch?“
„O ja. Ich habe jetzt irgendwie Mut, es wird schon gehen.“
„Dann hast du es schon halb geschafft. Herzlichen Glückwunsch.“
Wir gingen die Metrotreppe hinunter, und ich hätte laut schreien können. Oh, die verflixten Schuhe! Hätte ich sie bloß nie gekauft oder hätte ich wenigstens auf Tante Edda gehört! Wenn ich nur meine geliebten ausgetretenen alten Sandalen angezogen hätte, die ich im Hause immer trug! Als ob sich in dem Menschengewimmel von Paris jemand darum kümmerte, ob Britta Dieters vom Seehundsrücken Sandalen anhatte oder Schuhe mit Pfennigabsätzen! Und in diesen scheußlichen Folterapparaten sollte ich einen halben Tag im Zoo herumlaufen!
Die Metrofahrt war lang. Ich schlüpfte heimlich halb aus den Schuhen heraus und bewegte meine armen Zehen. Das erleichterte etwas.
Wir sprachen nicht viel in der Metro, dort ist es ja so laut, daß man einander schwer versteht. Ich saß und hing meinen Gedanken nach. Das Geld von Vati war nicht gekommen. Unbegreiflich! Vati würde mich doch niemals im Stich lassen. Tante Edda hatte bestimmt den Brief in den Kasten
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