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Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Titel: Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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allumfassende Bewegung.
    „Überall, Mademoiselle! Wo eine Bank steht, da ist mein Heim. Wo eine Blume wächst, ist mein Garten. Mir gehören die Bäume im Park, mir gehören die Skulpturen und Museen, mir gehört jeder Diamant, der in der Rue de la Paix ausgestellt ist. Mir gehört alles, weil die Welt mir gehört. Es gehört mir, weil ich zwei Augen habe und es sehen kann. Wenn ich einen Diamant für zehntausend Francs kaufen könnte, welche Freude hätte ich an ihm, außer der einen, daß ich ihn sehen könnte? Das kann ich jedoch, ohne daß ich ihn kaufe.“ „Aber Essen und Trinken?“ fragte ich. „Es genügt doch nicht, Kastanientüten anzuschauen, um satt zu werden.“
    „Nein“, seufzte er tief. „Das ist die einzige Lücke in meinem philosophischen Glück. Wenn meine Kleider zu schäbig werden, setze ich mich hin und schaue auf die anderen Menschen in neuen Kleidern und denke dabei, daß sie auch keine andere Freude an der Pracht haben, als die, daß sie schön anzusehen ist. Ich habe ja dieselbe Freude, ich sehe sie sogar umsonst! Solange meine eigenen Lumpen mich wärmen, ist alles in Ordnung.“
    Die Kastanientüte war leer. Ich legte fünfzig Centimes in seine Hand.
    „Mademoiselle, Sie beleidigen mich. Habe ich Sie nicht eingeladen, meine bescheidene Mahlzeit mit mir zu teilen?“
    Er meinte es! Es war sein voller Ernst. Ich mußte die Münze zurücknehmen; denn ich verstand ihn.
    „Sind Sie oft hier?“ fragte ich.
    Er legte die Hand aufs Herz.
    „Jeden Tag, Mademoiselle, jeden Tag, bis das Glück Sie mir wieder über den Weg führt.“
    Ich reichte ihm die Hand zum Abschied. Ich konnte ja meine Hände waschen, in Paris gibt es viele Brunnen.
    Ich will nicht behaupten, daß unsere Unterhaltung so fließend ging, wie ich sie wiedergebe. Ich verstand auch nicht jedes Wort, aber den Sinn begriff ich. Außerdem hatte mein lieber Clochard mir beigebracht, was „zerlumpt“ und „Lücke“ hieß. Kein Zweifel, man lernt eine neue Sprache am besten, wenn man mit den Einheimischen redet.
    Ein bißchen später stand ich vor der Vendome-Säule. Dann ging ich durch die Rue de la Paix, und ich blieb mit offenem Mund und großen Augen vor den Juwelierläden stehen. Da gab es Diamanten, die meiner Meinung nach nur für Königinnen und Kaiserinnen passen könnten, Ohrringe in so phantastischen Formen, wie ich sie nur in Filmen gesehen hatte. Dort war ein Fenster nur voll Brillanten, ein anderes mit Saphiren, ein drittes mit blutroten Rubinen, und in einem vierten gab es Diademe, Halsketten, Broschen, Ringe und goldene Armreifen mit Smaragden, umgeben von Brillanten.
    Ich dachte an meinen philosophischen Clochard. „Mir gehören alle Diamanten in der Rue de la Paix“, hatte er gesagt. Eine wunderbare Philosophie, die er sich zurechtgelegt hatte! „Wenn man sie besitzt, hat man auch keine andere Freude daran, als sie anzuschauen.“ Und wir, mein Clochard und ich, hatten genau dieselbe Freude.
    Ich stand und besah diese funkelnden Steine und fand es himmlisch.
    Ein Geschäft nach dem anderen. Alle mit Prachtstücken, die wunderbar anzusehen waren - ich meine zu besitzen!
    Die Leute bezahlen große Eintrittsgelder, um in Museen zu gehen und Kronjuwelen zu sehen. Ich aber konnte hier für ganz umsonst schauen, so lange es mir Spaß machte. Kein Touristenführer stand daneben und drängte weiter.
    Da kam ein Geschäft ganz anderer Art. Plötzlich stand ich vor einem Fenster mit kleinen Schmuckgegenständen. Ich traute meinen Augen kaum:    kleine    Schmuckgegenstände mit Preiszetteln!
    Preiszettel in der Rue de la Paix! Nun ja, wenn die großen Geschäfte das haben sollten, hätten sie wohl Klorollen nehmen müssen, damit all die Nullen Platz hätten!
    Hier lag eine reizende kleine Diamantbrosche für fünfzehn Francs - und tatsächlich, es gab sogar eine für dreizehn!
    Ich schaute auf den Namen des Geschäftes. „Burmaschmuck“ hieß es. Das mußte ich bei Gelegenheit untersuchen. Daß es sich um Imitationen handelte, war klar, aber was für reizende Imitationen!
    Nein, jetzt mußte ich weitergehen. Ich zog den Stadtplan aus der Tasche und versuchte, mich zu orientieren. Alle Erklärungen waren dreisprachig geschrieben. Ich faltete den Plan so, daß ich den deutschen Teil lesen konnte, ohne andere Menschen anzustoßen. Denn überall um mich waren Menschen. Jetzt war ich es gewohnt. Von zu Hause war ich es auch gewohnt, daß die Touristen mich auf der Straße ansprachen. Deswegen erschrak ich

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