Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
mobilisieren und so weiter! Ich werde Presse und Fernsehen vertreten - ich stelle mich mit meiner Filmkamera in Positur, mit einem Schild >Deutsches Fernsehen<...«
»Du spinnst wohl!« sagte ich. »Woher nehme ich den roten Teppich und die Jungfrauen?«
»Es gibt kilometerweise rotes Kreppapier im Laden! Dann ziehen wir Lillepus ein weißes Kleid an und geben ihr ein Körbchen voll Gänseblümchen in die Hand. Vielleicht können wir auch die kleine Schwester von Inken ausleihen! Doch, dein Vater soll genau den Empfang kriegen, den er sich gewünscht hat!«
»Und was ist mit dem fetten Kalb?« fragte Tante Edda. »Dies Problem ist das kleinste!« versicherte ich. »Wenn Vati ein fettes Kalb sagt, meint er ein mageres Rind! Das heißt ein Rinderfilet, das außen dunkelbraun ist und innen bluttriefend!«
»O Kinder, ja, und dann backen wir Kopenhagener!«
»Und als Nachtisch machen wir eine Apfeltorte; das ist Vatis Lieblingsdessert!«
»Ein Chor, Mädchen! Und wir müssen ein Willkommenslied dichten!«
Da schmunzelte Tante Edda.
»Das muß ich wohl übernehmen, es bleibt mir nichts anderes übrig. Habt ihr vergessen, daß ich von Beruf Dichterin bin?« Sie kniff die Augen zusammen und guckte sich um in der fröhlichen Runde. »Wißt ihr was? Ab und zu habe ich das Gefühl, in einer Internatsschulklasse für Vierzehnjährige gelandet zu sein! Und dies will eine würdige verheiratete Dame sein, eine vertrauenerweckende Buchhalterin und eine erwachsene, verlobte junge Dame!«
»Und eine ältere, lebenserfahrene, grauhaarige Schriftstellerin, Tante Edda. Manchmal bist du wahrhaftig die jüngste der ganzen Bande!«
Wir amüsierten uns herrlich, während wir diese kindischen Vorbereitungen zu Vatis Ankunft machten.
»Weißt du, wie mein Mann so was nennt?« sagte Bernadette. Sie malte ein großes Schild mit »Willkommen« in verschnörkelten Buchstaben.
»So was wie dies? Unseren Spaß mit Vati?«
»Ja, eben das. Er nennt es einen >Lebensüberschuß<. So viel Fröhlichkeit, daß man etwas von seiner eigenen Freude anderen abgeben muß, sie zu anderen hinüberfließen lassen muß. - Weißt du«, sagte sie nachdenklich, und betrachtete kritisch ein besonders elegant geschwungenes »M«, »man sagt immer, Kinder sollen in Harmonie aufwachsen, in Frieden, man soll versuchen, ihnen Wertvolles fürs Leben mitzugeben. Dabei vergißt man so leicht eines: die Freude! Sie sollen in Fröhlichkeit aufwachsen! Sie sollen von fröhlichen Menschen umgeben sein, sie sollen selbst lernen, fröhlich zu sein! Mit der Freude kommt alles andere von selbst: Güte, Menschenliebe, der Wunsch zu helfen, der Wunsch - ja, der Wunsch, andere Menschen in die eigene Freude mit einzuschließen!«
»Du drückst es sehr gut aus«, sagte ich. »Ist das deine eigene Lebensphilosphie?«
»Nein, als Lebensphilosophie stammt sie von meinem Mann, aber in praxi habe ich es von meiner eigenen Familie. Was sie mir sonst gegeben hat, weiß ich nicht. Aber die Freude wurde mir in die Wiege gelegt, nicht von irgendeinem Engel, sondern von einer großen, fröhlichen Familie!«
Nachher dachte ich über das nach, was Bernadette gesagt hatte. Ich dachte auch daran, was ich selbst Paps über meine glückliche Kindheit geschrieben hatte.
Diese Gedanken schwirrten noch in meinem Kopf herum, als wir uns abends vor den Fernsehapparat setzten, um das Regionalprogramm mit den Nachrichten von Norddeutschland zu sehen. Stapellauf in Kiel, lebhafter Grenzverkehr in Puttgarden, Besuch von einem politischen »hohen Tier« in Bremen. Ich horchte mit einem halben Ohr darauf und sah mit einem halben Auge hin, anderthalb Augen hatte ich auf den Pulli gerichtet, den ich Pierre strickte. »Die Hamburger Polizei hat eine Bande Jugendlicher verhaftet, vier Jungen und zwei Mädchen, alle im Alter zwischen siebzehn und einundzwanzig. Auf ihrem bedrückend langen Sündenregister stehen Autodiebstähle, Zerstören von Automaten, Straßenlaternen und Parkanlagen sowie Einbrüche in Zeitungs- und Andenkenkioske.« Ich ließ die Strickarbeit sinken. Jetzt sah ich mit beiden Augen auf den Bildschirm.
Nur ein paar Sekunden zeigten sie eine Aufnahme von der Bande, die ins Polizeipräsidium abgeführt wurde. Zwei Mädchen, ein blondes und ein schwarzhaariges, bildeten zusammen mit einem Polizisten die Nachhut. Das eine Mädchen hatte ein sehr schmales Gesicht und halblange, glatte schwarze Haare - und einen Pulli genau wie der, den Vati mir in Bremen gekauft hatte. »O je!« murmelte
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