Braut der Nacht
Pose einnahm.
Ein Spiel. Alles nur ein Spiel. Von beiden. Und meine unbedeutende Wenigkeit war nicht einmal so viel wert wie die Figur eines Bauern. Schließlich konnte ein Bauer, auch wenn er geopfert wurde, wenigstens eine andere Figur schlagen.
»Komm her, Kind, ich möchte einen kleinen Blick in deinen Verstand werfen.« Die Sammlerin streckte ihre offene Hand aus und winkte mich zu sich.
Tatius umfasste meine Taille fester. »Ich habe dir die Gelegenheit gegeben, das anzusehen, was sie von deinem Menschen beobachtet hat, und nicht nach Gutdünken in den Erinnerungen meiner Leute zu wühlen. Du hast bekommen, was ich dir versprochen hatte. Sei damit zufrieden.«
»Natürlich.« Sie lächelte, doch die demütige Geste sah zu echt aus, um aufrichtig zu sein. »Ich glaube, Selene ist hier.«
Sie hob die Hand und winkte die beiden Frauen herbei, die in der Tür standen. Sie hatten die Köpfe gesenkt, während sie langsam durch den Raum trotteten. Zwei identische Schöpfe rein weißen Haars verhüllten die beiden zu Boden gewandten Gesichter wie Schleier. Sie schlurften um den Stuhl herum und blieben direkt neben mir stehen, bevor sie gleichzeitig einen Knicks machten. Dann richteten sie sich langsam wieder auf, als schmerze sie jeder Zentimeter.
Ich hatte erwartet, dass sie alt waren, doch als sie aufblickten, enthüllten sie junge Gesichter. Junge, farblose Gesichter. Noch nie hatte ich so blasse Haut gesehen– die einzige Farbe war ein Hauch bläulicher Adern, die sich unter ihrer Haut schlängelten. Beide trugen Sonnenbrillen, als wäre das flackernde Kerzenlicht schon zu viel für ihre Augen.
Albinos. Und Zwillinge noch dazu. Eineiige Zwillinge.
Blinzelnd starrte ich sie an. Zwillinge mit schrecklich vertrautem Geruch. Sie mussten mit der Toten verwandt sein.
Albino-Drillinge?
Langsam atmete ich ein, um ihren Geruch zu kosten. Ich war satt, aber sie waren menschlich, und mein Pulsschlag beschleunigte sich durch ihre Nähe, durch meine beinahe intime Analyse ihres Geruchs. Er war dem des Harlekins ach so ähnlich. Lebendiger natürlich, frischer, aber dieselbe Kombination aus feuchter Dunkelheit mit einem Hauch süßer Sonnencreme. Doch darunter besaß jede Frau eine etwas unterschiedliche Note. Subtil, aber eindeutig unterschiedlich. Die kopflose Frau hatte nach Wind im Mondlicht gerochen, und nur der Bodyguard hatte diese spezielle Kombination mit ihr gemeinsam.
Die Sammlerin legte die Fingerspitzen ihrer Hände aneinander und blickte zwischen den beiden Frauen hin und her. »Selene, Kind, wer hat heute Abend von dir getrunken?«
Der Zwilling, der mir am nächsten stand, zuckte zusammen. »Ich… niemand«, flüsterte sie.
Jomar wirbelte herum. »Aber…«
Die Sammlerin gebot ihm Schweigen. »Niemand?«
Eine lange Strähne farbloser Haare streifte meinen Arm, als sie den Kopf schüttelte. »Ich war eigentlich an der Reihe.« Ihre Schultern hoben sich kurz, ein kleiner lautloser Schluckauf von einer Bewegung. Dann taten sie es erneut. »Luna hat meinen Platz eingenommen.« Ihre Stimme bebte, und ihre Schultern zuckten erneut, als habe jemand einen Faden um ihren Leib geschlungen und daran gezogen.
Ihre Zwillingsschwester legte die Arme um sie. »Es war nicht deine Schuld«, flüsterte sie, was Selene nur noch heftiger zittern ließ. Ein feuchtes Schluchzen drang aus ihrer Kehle.
Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen. Ich musste von den Zwillingen fort. Sie waren zu nahe. Viel zu nahe für ein paar Fremde, die gerade ihre Schwester verloren hatten. Tatius umfasste meine Taille fester, als spüre er, dass ich kurz davor war abzuhauen.
Mit einem Ausdruck wachsenden Entsetzens sah Jomar die Zwillinge an. Als ein weiteres Schluchzen die Luft durchschnitt, sank er auf die Knie. Dann streckte er sich vollständig vor der Sammlerin auf dem Boden aus.
»Das wusste ich nicht. Ich schwöre es! Ich dachte, sie wäre Selene. Luna war noch am Leben, als ich sie verließ.«
»Schweig!« Die Stimme der Sammlerin dröhnte durch den Raum, und zum ersten Mal bekam ihre Selbstbeherrschung einen Sprung. Der Blick, mit dem sie den vor ihr ausgestreckten Mann ansah, grenzte an mörderisch, doch dann räusperte sie sich und strich sich die Vorderseite ihres Rocks glatt. Als sie den Blick wieder hob, waren ihre Augen wieder ruhig, ihr Mund emotionslos. Sie nickte Tatius zu. »Deine Gefährtin hatte recht. Kann ihre nicht menschliche Nase uns sonst noch etwas sagen?«
Tatius lächelte sie selbstgefällig
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