Braut der Nacht
Angst schnürte mir die Kehle zu. Meine Füße drängten mich wegzulaufen.
Doch ich lief nicht weg.
Mein Instinkt sagte mir, dass Degan zu den Guten gehörte. Ich muss diesen Kampf verhindern!
Trügerisch ruhig schirmte Nathanial mich weiter vor Degan ab, nicht nur wegen Degans Drohung, sondern auch wegen meiner Angst vor Wölfen. Ich schluckte. Ich kann mich nicht einfach feige zusammenkauern! Also trat ich von der Wand weg und sah mich um. Wie soll ich Degan überzeugen, dass hier niemand gestorben ist, wenn das ganze Zimmer voll mit dem Geruch von Blut ist?
Nun, eine Möglichkeit gab es.
Ich flitzte um Nathanial herum und zerrte an den Knöpfen meines Hemds, aber da ein Arm nutzlos herabhing und ich an der anderen Hand Krallen hatte, fiel es mir schwer, sie zu öffnen. Degans Haut platzte am Rücken auf. Mir lief die Zeit davon. Mit einem frustrierten Knurren zerriss ich das Hemd und dabei auch noch das Unterhemd, das ich trug. Schmerz durchschnitt mich, als ich mir den Stoff vom Leib riss. Ich verbiss mir einen Fluch und trat vor Degan.
»Das ist mein Blut.« Ich ließ die zerrissenen Hemden zu Boden fallen und enthüllte die gezackte Naht, die meinen ganzen Arm entlanglief. »MeinBlut.«
Degans menschliche Knochen verformten sich bereits zur Gestalt eines Wolfs, seine Muskeln verursachten schmatzende Geräusche, und seine Gelenke knackten. Er hat sich schon zu weit verwandelt! Allerdings waren seine Augen klar. Als er mich ansah, konnte ich die Beunruhigung in dem immer noch größtenteils menschlichen Gesicht erkennen. Dann schloss sich seine Haut wieder über seinem Körper.
Seine menschliche Haut.
Erstaunt blinzelte ich. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, eine so weit fortgeschrittene Verwandlung rückgängig zu machen. Er war mächtig, um einiges mächtiger, als ich dachte. Aber immer noch pulsierte tödliche Energie von ihm aus, genug Energie, um sich doch noch zu verwandeln. Auf der Stelle, falls nötig. Ich schluckte. Wie ich so halb nackt und verwundet vor diesem gefallenen Torin stand, fühlte ich mich sehr verletzlich.
Ich liege mit meinem Instinkt besser richtig.
Mit geblähten Nasenflügeln schlich Degan durchs Zimmer auf mich zu. Plötzlich war Nathanial zwischen uns. Mit nur einem einzigen Fausthieb schleuderte er den clanlosen Gestaltwandler gegen die Wand. Das Zimmer bebte unter dem Aufprall, doch Degan rollte sich auf die Füße. Stand auf. Ich packte Nathanial am Arm, bevor er ihn weiter angreifen konnte.
»Nicht! Er wollte mir nichts tun.« Oder zumindest glaubte ich nicht, dass er es vorgehabt hatte.
Degan straffte die Schultern, doch trotz seiner aggressiven Verteidigungshaltung zog er leicht den Kopf ein. Es war eine entschuldigende, beinahe unterwürfige Geste. »Ich hätte meine Absicht deutlich machen sollen. Alles, was ich will, ist, den Geruch deiner Geliebten zu analysieren«, sagte er mit einem Nicken zu Nathanial.
»Ich bin nicht…« Ich klappte den Mund zu, bevor ich den Satz zu Ende sprechen konnte. In Firth würde ein Gestaltwandler die Gefährtin eines anderen ohne dessen Erlaubnis niemals anrühren. Nathanial und ich hatten Blut miteinander geteilt, wodurch sich unsere Gerüche vermischt hatten. Meine Wangen glühten. Bei unserem vermischten Geruch war die Annahme logisch, dass wir Geliebte waren. Es abzustreiten würde meiner Glaubwürdigkeit schaden. Außerdem, nach dem, was in diesem Zimmer beinahe passiert wäre … Ich dachte diesen Gedanken nicht zu Ende. Mit zu Boden gesenktem Blick murmelte ich: »Es ist kompliziert. Nathanial?«
Er starrte mich wieder an, als versuche er, meine Gedanken zu verstehen, könne ihnen aber nicht folgen. Was richtige Entscheidungen betraf, war meine Erfolgsgeschichte nicht gerade glänzend. Ich konnte nur hoffen, dass ich diesmal die richtige traf. Wenn es mein vergiftetes Blut gewesen war, das Degan hierhergeführt hatte, dann gab es nur zwei Erklärungen dafür, wie ich den Geruch des Mordopfers aufgenommen haben konnte. Eine davon war, dass ich mit Tatius Blut geteilt hatte. Die andere war Akanes Gift. Ich tippte auf Letzteres. Wenn wir wüssten, wer den Vampir der Sammlerin getötet hatte, hätten wir einen mächtigen Trumpf in der Hand.
Langsam nickte Nathanial, doch seine Augen verrieten, wie wenig erfreut er über die Situation war. Er knöpfte sein Hemd auf, zog es aus und hielt es mir hin. Ich ließ mir von ihm hineinhelfen und es für mich zuknöpfen. Das Hemd reichte mir beinahe bis zu den Knien. Vermutlich
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