Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
sich der Schmerz im Hinterkopf wieder zurück.
    Ob die Mutter ihn nun doch empfangen würde?
    Zu einem ausführlichen Gespräch wäre er heute gar nicht mehr in der Lage. Schon auf dem Weg hierher hatte
er beschlossen, für einige Zeit in Assisi zu bleiben, um sich ein möglichst abschließendes Bild zu machen. Stellte sich allerdings noch die Frage nach einem geeigneten Quartier. Das riesige Monasterium der Minoriten erschien ihm aus vielerlei Gründen nicht als der richtige Ort. Es gab kein Kloster, in dem nicht getratscht wurde, erst recht, wenn es von Männern bewohnt war und offiziell strengstes Schweigegebot herrschte. Sein Auftrag war viel zu delikat, um im unpassenden Moment an die große Glocke gehängt zu werden.
    Doch hier würde er auch nicht bleiben können, als einziger Mann inmitten all der Nonnen. Wie viele es wohl sein mochten? Obwohl der Platz beschränkt war, erfreute sich Klaras Kloster, wie er wusste, seit Jahren größter Anziehung, und die Zahl der frommen Schwestern wuchs ständig an.
    Um einen kleinen Brunnen herum blühten wilde Sommerblumen. Schmetterlinge tanzten in der Luft. Es roch süß und ein wenig bitter zugleich, eine winzige, unschuldige Idylle inmitten der starken steinernen Mauern. Beinahe wären ihm im friedlichen Halbschatten die Augen zugefallen.
    Plötzlich stand Suor Regula wieder vor ihm. Sie musste sich aufgeregt haben, das erkannte er an den roten Flecken, die auf einmal auf ihren schmalen Wangen brannten. Doch sie nach dem Grund zu fragen, wäre ebenso unhöflich wie sinnlos gewesen. Sie erschien ihm wie das Misstrauen in Person. Niemals würde sie einen Fremden einweihen.
    »Komm!«, sagte sie.
    Leo ging davon aus, dass sie ihn als Nächstes in die Kirche führen würde, wo wie bei ihnen im Ulmer Kloster jeder Tote zum Abschiednehmen einen Tag und eine Nacht vor dem Altar aufgebahrt wurde. Doch sie bog kurz vor dem
niedrigen Portal nach rechts ab, öffnete eine unscheinbare Tür und nahm die Treppe nach unten.
    Er roch den Tod, noch bevor sie ihr Ziel erreicht hatten. In den Mauern schien er zu sitzen und seine eiskalten Finger nach jedem auszustrecken, der sich hierher verirrte.
    Der Raum, eher eine Art Kellerverlies, war so niedrig, dass Leo kaum aufrecht stehen konnte. Der Leichnam war nicht in einen Sarg gebettet, wie er es erwartet hatte, sondern lag auf einer einfachen Holzpritsche. Ein weißes Leintuch bedeckte ihn. Am Kopfende ein schlichtes Holzkreuz. Zu den Füßen der Toten brannten zwei weiße Kerzen.
    »Das ist sie«, sagte Regula. »Suor Magdalena. Ihr ganzes Leben hat sie hier im Kloster verbracht.«
    Etwas kam Leo merkwürdig an diesem Satz vor, doch er entschloss sich, seine Überlegungen auf später zu verschieben.
    »Kann ich sie sehen?«, fragte er.
    »Kein schöner Anblick«, sagte sie abermals, hielt aber inne, griff dann nach dem Tuch und zog es langsam herunter.
    Eine Frau in den frühen Vierzigern, wie er schätzte, vermutlich kaum ein paar Jahre älter als er selbst. Den fülligen, fast plumpen Körper verhüllte das schlichte Ordenskleid, in ihrem Fall so verwaschen und zerschlissen, dass es wie billigstes Sackleinen aussah. Die Gliedmaßen wirkten seltsam verdreht, als hätte ein Riese sie grob aus den Gelenken gerissen und dann einfach sinnlos baumeln lassen.
    »Unzählige Brüche«, drang Regulas Stimme in seine Gedanken. »Arme, Beine, Rippen und wer weiß, was sonst noch alles. Aber arg leiden müssen hat sie wohl nicht. Wir gehen davon aus, dass sie sofort tot war.«
    Das Gesicht Suor Magdalenas war flächig und von Schürfwunden bedeckt. Links klaffte ein tiefer Riss, der knapp unter dem Auge begann und bis zu den Lippen
reichte. Diese Seite war entstellt, beinahe zur Teufelsfratze geworden, während die rechte Gesichtshälfte entspannt, ja geradezu friedlich wirkte.
    Er trat näher und hörte, wie die Nonne hinter ihm die Luft scharf zwischen den Zähnen einsog. Sie will nicht, dass ich genauer hinsehe, schoss es Leo durch den Kopf. Dafür wird sie ihre Gründe haben.
    Aber welche? Und weshalb lagen die Hände der Toten nicht gefaltet auf der Brust wie sonst üblich?
    Nach kurzem Zögern griff er nach der rechten Hand der Toten und drehte sie behutsam um. »Die Finger sind ja tiefbraun«, sagte er erstaunt. »Dann hat sie wohl bei euch im Scriptorium gearbeitet?«
    Ein kurzes, bellendes Lachen, das ihn unangenehm berührte.
    »San Damiano besitzt gar kein Scriptorium. Wenn Madre Chiara etwas zu schreiben hat, macht sie das selbst,

Weitere Kostenlose Bücher