Braut von Assisi
seine Visitation.
Aber wie sollte er sich bemerkbar machen?
Plötzlich berührte etwas Seidiges seinen Knöchel, und er schrie unwillkürlich auf, um im nächsten Moment über sich selbst zu lachen. Eine graue Katze saß neben ihm und sah aus unergründlich bernsteinfarbenen Augen zu ihm auf. Dann, offensichtlich verlegen, begann sie, ihre Schulter zu putzen.
»Bist du etwa mein Begrüßungskomitee?« Er bückte sich, um sie zu streicheln, doch sie schoss scheu davon.
Als er sich wieder aufgerichtet hatte, stand eine Nonne vor ihm. Wie war sie herausgekommen? Er hatte keinen Laut gehört.
»Sono Fra Leo« , sagte er. »Il visitatore…«
Sie sah ihn staunend an, als könnte sie kaum fassen, was sie da zu hören bekam.
Sofort überfiel ihn die alte Unsicherheit, die er freilich rasch wieder vertrieb. Diese einfachen Worte – sie mussten richtig gewesen sein.
»Sono Fra Leo del monasterium Ulm« , begann er noch einmal von vorn. » Vorrei parlare con l ’abbatissa.«
Wieso schüttelte sie jetzt so energisch den Kopf, dass ihre Haube zu wackeln begann? Sie hatte ein schmales, energisches Gesicht und so tiefbraune Augen, dass sie ihm unter der einfachen Haube fast schwarz erschienen.
»Impossibile« , sagte sie mit fester Stimme. »Madre Chiara è troppo malata.«
Dass Klara seit langen Jahren das Bett hüten musste, wusste er bereits. Ob ihr labiler Zustand sich verschlechtert hatte? Hoffentlich kam er nicht zu spät!
»Ich muss sie trotzdem sprechen«, stieß er hervor. »Deshalb bin ich ja den ganzen weiten Weg über die Alpen geritten. Bruder Johannes schickt mich. Es ist sehr, sehr wichtig, für euch alle, für das ganze Kloster, verstehst du …«
Beschämt hielt er inne. Er war vor lauter Aufregung in seine Muttersprache verfallen. Wahrscheinlich hatte die Schwester kein einziges Wort verstanden.
Doch in den dunklen Augen schimmerte ein winziges Lächeln. »Komm mit!«, sagte sie, griff nach dem Schlüsselbund, der an ihrem Strick hing, und schloss auf.
Er folgte ihr in den kleinen Kreuzgang, vollkommen überrascht. Sie sprach Deutsch, den harten gutturalen Dialekt der westlichen Alpen, den auch seine Mutter gesprochen hatte.
»Wir sind froh, dich hier zu sehen.« Die Nonne war stehen geblieben. »Ich bin Suor Regula, die Infirmarin. Die anderen sind alle in der Kirche und beten. Aber wieso bist du allein?«
Sie hatte sofort seinen wundesten Punkt getroffen. Laut den Anweisungen des heiligen Franziskus hatten Minderbrüder sich stets zu zweit auf Reisen zu begeben, erst recht, wenn diese so lang und beschwerlich waren wie die, die hinter ihm lag. Natürlich war er zusammen mit einem Gefährten aufgebrochen. Doch was diesem unterwegs zugestoßen war, lag tief und für immer auf dem Grund seines Herzens begraben.
»Jetzt?«, fragte Leo, um das heikle Thema zu übergehen. »Die Schwestern beten jetzt?«
Sie nickte. Das Lächeln war aus ihren Augen verschwunden. »Es gab da einen Todesfall. Gestern. Suor Magdalena. Ihre arme Seele braucht unseren Beistand.« Sie schien zu zögern, als wollte sie noch etwas hinzufügen, entschied sich dann aber offenbar dagegen.
Irgendetwas zwang Leo zum Nachfragen. »Woran ist sie gestorben?«, sagte er.
Abermals Zögern.
»Ein schrecklicher Unfall«, sagte Suor Regula schließlich. »Ein Sturz aus großer Höhe. Außerhalb.« Ihre Hand fuhr zum Mund, als hätte sie schon zu viel verraten.
»Sie hat das Kloster verlassen?« Wie passte das zur strengsten Klausur, die für San Damiano von oberster Stelle angeordnet war? »Hatte sie denn einen speziellen Auftrag? «
Suor Regula schien zu ahnen, was ihn bewegte. »Wir haben keine Erklärung dafür«, sagte sie. »Magdalena hat die Vigil verpasst, zum ersten Mal in all den Jahren. Da haben wir nach ihr zu suchen begonnen. Gefunden haben wie sie allerdings erst Stunden später. Als es hell war.«
»Kann ich sie sehen?«
Die schmalen Schultern gingen nach oben. »Kein schöner Anblick«, sagte die Infirmarin leise.
»Daran bin ich gewöhnt«, lautete seine Antwort. »Per favore!«
Sie machte ein paar Schritte, er folgte ihr.
»Warte!«, beschied sie ihn. »Das hat einzig und allein Madre Chiara zu entscheiden.«
Sie ging so leise davon, dass sein Blick unwillkürlich nach unten glitt. Ihre Füße waren nackt; sogar auf die einfachen Sandalen, die der Heilige ausdrücklich erlaubt hatte, verzichtete sie offenkundig.
Leo ließ sich auf die kleine Steinbank neben dem Eingang sinken, denn plötzlich meldete
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