Braut von Assisi
eine Portion mehr davon, mein Täubchen? Ich wünsche mir eine heiße Braut, die für mich glüht, und keine kalte Frömmlerin, die ihre Stunden in zugigen Kirchen vergeudet.«
Er spielte damit auf San Rufino an, das Gotteshaus, das ihr in letzter Zeit zur heimlichen Zuflucht geworden war. Und keine andere als Ilaria konnte ihm diesen Hinweis gegeben haben.
Stella schob ihren Verlobten ein kleines Stück weg.
»Vielleicht wäre ja auch ich mehr an echter Liebe interessiert als an klebrigem Verlangen«, erwiderte sie um einiges schärfer, als sie eigentlich gewollt hatte. War sie schon wieder zu weit gegangen? Carlo konnte immer noch abspringen, wenn er die Lust verlor – und was dann? Es verging kaum ein Tag, an dem Simonetta sie nicht an diese Möglichkeit erinnert hätte.
»Oh, meine Liebe könnte reiner kaum sein!«, versicherte Carlo mit treuherzigem Augenaufschlag, und für einen Moment hätte sie ihm beinahe geglaubt. Dann allerdings bemerkte sie den raschen Blick, den er danach mit Federico tauschte, der ihm kumpelhaft zugrinste.
Was führten die beiden im Schilde? Doch nicht etwa eine Entführung, die ihren Ruf sowie den Ilarias für alle Zeit ruinieren würde?
»Wozu noch länger warten, mein Täubchen?« Noch nie zuvor hatte Carlo so gurrend, so verführerisch geklungen. »Wo wir doch bald ohnehin vereint sein werden. Nebenan wartet ein bequemes Lager, wir könnten alles in Ruhe bereden und uns endlich – besser kennenlernen.«
Er schien entschlossen, vollendete Tatsachen zu schaffen. Weil er womöglich befürchtete, sie könne sich eine Heirat mit ihm doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen? Von Ilaria hatte sie keine Unterstützung zu erhoffen, die war erneut in einer derart leidenschaftlichen Umarmung mit Federico versunken, dass sie die Welt um sich herum vergessen zu haben schien.
»Siehst du, was ich meine?«, wisperte Carlo. »Genau das wünsche ich mir auch von meiner Verlobten: Leidenschaft und absolute Hingabe.«
»Darauf kannst du lange warten!« Der Satz war heraus, bevor Stella noch überlegt hatte. Und so laut hatte sie ihn hinaustrompetet, dass nun die Augen aller erstaunt auf ihr
ruhten. Verlegenheit stieg in ihr auf, siedend heiß und grenzenlos, und sie hätte alles dafür gegeben, um das eben Gesagte ungeschehen zu machen.
Jetzt, endlich, schien Ilaria zu spüren, wie unbehaglich sie sich fühlte.
»Geküsst, so scheint mir, ist für heute mehr als genug!« Spielerisch schlug sie mit der flachen Hand auf Federicos Brust. »Gnade euch Gott, wenn ihr beiden Schelme nur ein Wort darüber vor unserer Mutter fallen lasst – dann stünde euch nämlich die grauslichste Hochzeitsnacht bevor, die Assisi jemals zu bieten hatte. Und jetzt hinaus mit euch!«
»Was wollen wir jetzt tun?«, fragte Stella, als sie ihre Brautkleider abgestreift hatten und wieder Alltagskleidung trugen. »Gleich nach Hause, damit Simonetta nicht wieder mit ihrer misstrauischen Fragerei beginnt?«
»Ich weiß doch, wofür dein Herz schlägt«, antwortete Ilaria lächelnd. »Und gegen einen Kirchenbesuch kann ja nicht einmal unsere Mutter etwas einzuwenden haben.«
Über dieses Becken in San Rufino waren beide zur Taufe gehoben worden: Franziskus vor etwa siebzig Jahren, Mutter Klara, sofern die Angaben richtig waren, die Bruder Johannes ihm gemacht hatte, gute zwölf Jahre später. Unwillkürlich war Leo neben dem Becken aus rötlichem Sandstein stehen geblieben und versuchte in Gedanken, die Zeit bis zu jenem Ereignis zurückzudrehen. Schwer vorstellbar, dass der verehrte Heilige und Ordensgründer einmal ein quäkender Säugling gewesen sein sollte, ebenso wie die alte Frau, die nun in San Damiano auf den Tod wartete.
Seiner morgigen Begegnung mit ihr sah er in einer Mischung
aus Neugierde und Besorgnis entgegen. Würden sie einen Weg zueinander finden?
Da sein Italienisch mehr als lückenhaft war und Klara seines Wissens kein Wort Deutsch verstand, würde er ganz auf die Übersetzungskünste von Suor Regula angewiesen sein, eine mehr als unsichere, ja womöglich sogar manipulative Grundlage, wie ihm nach der ersten Begegnung sehr wohl bewusst war.
Welche Rolle spielte sie im Kloster? Und weshalb hatte er bei seinem kurzen Besuch nicht Suor Benedetta zu Gesicht bekommen, nach seinen Informationen nächst Madre Chiara die Zweite in San Damiano?
Madre Chiara .
Wie weich und sinnlich das klang! Ganz anders als das harte Mutter Klara , wie er sie bisher stets für sich genannt hatte.
Ein
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