Braut von Assisi
gesucht. Gewaltsam war sie nach San Damiano zurückgebracht worden, als die ersten Gerüchte die Runde machten, worauf sie ihr Kind im Kloster zur Welt brachte und gleich danach wieder verlor. Magdalena verharrte fortan in Trübsinn und Gleichgültigkeit – bis sie eines Tages ein Gespräch zwischen Chiara
und deren Schwester Beatrice belauschte, das alles für sie verändern sollte.
Wenig später kam zudem Lorenzos Brief, heimlich überbracht von einem Bruder des Sacro Convento, der die Nonnen in ihrer Klausur mit Essen versorgte. Von schlechtem Gewissen geplagt, weil er nicht entschiedener für Magdalena eingestanden war, hatte Lorenzo seinen Schwur gebrochen und ihr das Geheimnis ihre Herkunft enthüllt.
Magdalena wiederum hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als sich heimlich Pergament und Tinte zu beschaffen, um sich alle Zweifel und alle Ängste von der Seele zu schreiben. Ihr schließlicher Entschluss, sich einem Beichtvater zu öffnen, wurde ihr Todesurteil. Denn auf Padre Eligio, dem sie rückhaltlos vertraut hatte, folgte Abt Matteo, der Schatten. Er täuschte sie, lockte sie, konnte sie schließlich sogar überreden, zweimal heimlich das Kloster zu verlassen. Im Schutz des Beichtstuhls plante er ihren Tod, den ersten einer Reihe weiterer Morde …
Stella begann plötzlich zu frösteln und hüllte sich in den Walkumhang, den Leo bei seinen Wanderungen durch den Wald zu tragen pflegte. Der Duft des geliebten Mannes machte sie wieder ruhiger. Sie war nicht länger allein, auch wenn Chiara, Magdalena und Lorenzo nicht mehr lebten.
Der Aufforderung Chiaras, Magdalenas Buch den Flammen zu übergeben, war Stella nicht nachgekommen, und diese Eigenmächtigkeit hatte sie bislang nicht bereut. Nun war sie die Hüterin jener Enthüllungen, und auch das Geheimnis der Äbtissin von San Damiano würde sie bis zum letzten Atemzug schützen und bewahren.
»Nie zuvor kamen diese Worte über meine Lippen«, hatte die sterbenskranke Chiara ihr zugeflüstert. »Aber du sollst erfahren, wie es sich damals zugetragen hat. Er war mein Vorbild, mein Freund, mein innigst Vertrauter – niemals habe ich einen Menschen mehr geliebt. Er hat sich meiner angenommen, als ich von zu Hause fortgelaufen bin, er hat mir die Haare abgeschnitten, damit sie mich nicht mehr zwangsverheiraten konnten, für mich ein Kloster gesucht, das mich aufnehmen sollte. Doch was sollte ich bei den reichen Benediktinerinnen und ihrem eitlen Spitzenklöppeln?«
Später hat er sie nach San Damiano gebracht. Das Kloster war baufällig damals, beinahe eine Ruine, und die beiden haben zusammen gearbeitet, bis ihnen die Blasen an den Händen aufplatzten. Eine Zeit voller Seligkeit – doch Chiara spürte von Tag zu Tag stärker: Er will, er muss fort!
Lange hat er ihr seine Pläne verschwiegen, um sie zu schonen, doch als sie es ihm schließlich auf den Kopf zusagte, da gab er es zu.
In jener Nacht ist sie zu ihm gegangen.
Francesco schlief auf der blanken Erde, Francesco mit seinen großen Ohren, den kleinen Füßen und der lustigen Nase. Er trug sein armseliges Gewand, wegen dem viele ihn seit Jahren verspottet hatten.
Doch für Chiara war alles anders. Ein Engel war für sie vom Himmel gestiegen, ein Cherubin in Menschengestalt. Kein Mann war ihr jemals schöner erschienen.
Er wollte sie wegschicken, als er erwacht war und ihre Nähe spürte, nannte sie Teufelin, Schlange und böse Versuchung. Doch sie verschloss ihre Ohren gegen seine Worte und umarmte ihn wieder und wieder, bis schließlich sein Widerstand erlosch und er nachgab.
Zusammen lagen sie im Gras, über ihnen die funkelnden Sterne, sein Atem an ihrer Haut, ihr Körper wie eine
Lautensaite angespannt vor Glück. »Damals fühlte ich mich wie eine reine Braut, seine Braut, und das war ich in diesem Augenblick ja auch, bevor ich für alle Zeiten die Braut Christi werden sollte. Sein Lächeln war dunkel und rätselhaft, das konnte ich sogar im Mondlicht erkennen, doch nachdem wir uns geliebt hatten, weinte er. Von dem Kind, das ich empfangen und geboren habe, hat er erst viel später erfahren, in jenem Brief, den ich ihm unvorsichtigerweise geschickt habe. Jenes Schreiben, dessen Fragmente die Einsiedler untereinander aufteilten, damit sie niemals in die falschen Hände geraten konnten. Aus Pietät Francesco gegenüber haben sie die Teile nicht vernichtet, sondern aufbewahrt – wer hätte ahnen können, welches Leid sie einmal verursachen würden!«
Stella wischte sich die Tränen
Weitere Kostenlose Bücher