Braut von Assisi
Blitz.
Zuerst unterstützte Chiara den Rebellen Gottes heimlich mit Geld und Sachleistungen, doch dann wurde der Wunsch, nach seiner Weise zu leben, immer stärker in ihr. Über zwei Jahre lang verabredeten die beiden sich heimlich außerhalb der Stadt. Danach traf Chiara ihre Entscheidung.
In der Nacht zum Palmsonntag des Jahres 1212 ließ sie ihr altes Leben hinter sich und verließ die Oberstadt. In der Ebene außerhalb Assisis, bei der kleinen Kirche Portiuncula, wurde sie von Francesco und einigen Brüdern erwartet. Dort legte sie das Gelübde eines Lebens nach Francescos Regeln ab. Er selbst schnitt ihr die Haare ab und bekleidete sie mit »einem ärmlichen Gewand«.
Was wollte diese junge Frau eigentlich?
Religiös bewegte Frauen und Männer konnten in dieser Zeit nicht zusammenleben, ohne dass sie Gefahr liefen, der Häresie und Schlimmerem verdächtigt zu werden. Chiara suchte einen Ort, an dem sie verwirklichen konnte, was in ihr keimte. So kam sie eine Weile im Konvent der Benediktinerinnen unter. Doch in diesem reichen Kloster fühlte sie sich schon bald fehl am Platz. Nach großen Auseinandersetzungen mit der Familie, die sie zur Heimkehr nötigen wollte, wechselte sie zur kleinen Gemeinschaft der Waldschwestern, die vor den Toren der Stadt lebten. Doch auch hier wurde sie nicht glücklich.
Agnes, die jüngere Schwester, schloss sich ihr an; wenig später kam die Nachbarin und Freundin Pacifica dazu. Im Kirchlein San Damiano, das schon für Franziskus große Bedeutung gehabt hatte, fanden sie schließlich den geeigneten Ort. Durch den Einzug der Frauen bekam die Kirche ihr eigenes Gesicht – ein Klosterbau entstand. Später stießen sogar Chiaras Mutter Ortulana und ihre Schwester Beatrice
zu der Gemeinschaft. Spirituell betreut und materiell versorgt wurde diese von den Brüdern des Franziskus. Die Schwestern mussten zwar nicht betteln gehen, dennoch oder gerade deshalb blieb auch für sie Armut das höchste Ideal.
Bald schon rückte San Damiano ins Blickfeld der offiziellen Kirche, denn es war das Zeichen eines allgemeinen Aufbruchs: Überall entstanden neue Gemeinschaften von Frauen nach diesem Vorbild, eine religiöse Frauenbewegung entfaltete sich in ganz Mitteleuropa – und die Kirche musste reagieren.
Kardinal Hugolin von Ostia, der schon bald als Gregor IX. den Stuhl Petri besteigen sollte, wollte die spirituell suchenden Frauen Nord- und Mittelitaliens vereinigen und nach seiner Regel einen neuen Frauenorden gründen. Dabei sollte San Damiano das Zentrum werden – allerdings ohne der strengen Armutsauffassung Chiaras Raum zu lassen. Der Konflikt war unausweichlich. Als der Papst 1228 anlässlich der Heiligsprechung Francescos mit Chiara zusammentraf, bot er ihr unverhohlen Besitz für das Kloster an. Sie lehnte kategorisch ab: Die Schwestern und sie hätten Gott gelobt, in Armut zu leben – das war keine vertragliche Angelegenheit, von der ein Papst sie hätte lossprechen können, sondern ein Treueversprechen.
Überraschenderweise lenkte der Papst ein. San Damiano besaß bereits das »Privileg der Armut«, das paradox klingende Vorrecht, niemals Privilegien annehmen zu müssen. Gregor IX. bestätigte dieses noch einmal. War Chiaras Kampf damit zu Ende?
Mitnichten! Ein neuer Papst, Innozenz IV., wurde gewählt – und der Kampf begann von vorn. Chiara machte sich daran, ihre eigene Regel niederzuschreiben: die erste Regel, die jemals eine Frau verfasste und die ein Papst bestätigen sollte.
Das Problem: Chiara war sterbenskrank, die Zeit drängte. Papst Innozenz IV. besuchte sie am Sterbebett und stellte dort die heiß ersehnte Bestätigungsbulle aus: das Datum, das sie trägt, ist der 9. August 1153.
Chiara erhielt sie einen Tag später, drückte sie zärtlich an sich und küsste sie viele Male.
Am nächsten Tag, dem II. August, war sie tot.
Dichtung und Wahrheit
CHIARA VON ASSISI
Mein Roman behandelt die Umstände von Chiaras Tod im Sommer 1253, und tatsächlich ist sie am 11. August jenes Jahres in San Damiano verstorben. Sie war lange krank. Manche sprechen sogar von Jahrzehnten, während derer sie das Lager nicht mehr verlassen habe. Ausgelöst durch unverhältnismäßiges Fasten, war ihr Körper extrem geschwächt. Nach zeitgenössischen Aussagen soll sie nur zweimal in der Woche feste Nahrung zu sich genommen haben. Schwere gesundheitliche Probleme waren die Folge.
Hervorgehoben wird aber ihr starker Wille – den hat die Chiara meines Romans ebenso. Kurz vor ihrem Tod
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